Verformungsfähiger Tunnelausbau in quellfähigen Böden
Maschinelle Tunnelvortriebe in stark druckhaften Böden, wie z. B. in quellfähigem Baugrund, hängen neben der korrekten Anpassung der Tunnelvortriebsmaschine an die geologischen Verhältnisse maßgeblich von der Fähigkeit des Tunnelausbaus zur Bewältigung lokaler Schwelldrücke ab. Durch die Entwicklung radial verformungsfähiger segmentierter Tunnelschalen, die die Beanspruchung des Tübbingausbaus durch die Anordnung einer nachgiebigen Stauchschicht und eines stauchfähigen Ringspaltmörtels reduzieren, soll ein schadfreier Lastabtrag ermöglicht werden (Bild 1). Die Verformbarkeit der nachgiebigen Tunnelschalen beeinflusst jedoch die Spannungs- und Dehnungsverteilung um den Tunnel herum und bestimmt somit den Wert des Schwelldrucks. Angestrebt wird deshalb die Entwicklung eines verformungsfähigen Tunnelausbausystems, d. h. ein Material- und Tragwerkdesign, das durch eine Synergie numerischer und experimenteller Verfahren eine optimale Tunnel-Boden-Wechselwirkung gewährleistet.
1 | Links: Tunnel-Boden-Wechselwirkung. Mitte oben: Zementgebundene Stauchschicht und ein stauchfähiger Ringspaltmörtel auf dem Tübbing. Mitte unten: Charakteristisches Verhalten der stauchfähigen Materialien. Rechts: Verformungsfähiger Ausbau (Tübbing - Stauchschicht – stauchfähiger Ringspaltmörtel) mit aufgebrachter Stauchverformung (rd. 12 cm bzw. 70 % der initialen Dicke des stauchfähigen Ringspaltmörtels)
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1 Hydro-mechanische Prozesse beim maschinellen Tunnelvortrieb im quellfähigen Tonstein
Durch Tunnelvortrieb induzierte Spannungsumlagerungen, Auflockerungen und Verformungen im quellfähigen Tongestein führen zur Ausbildung einer sogenannten Excavation Damaged Zone (EDZ) im Nahfeld des Tunnels [1]. Die Scherdehnungsentwicklungen innerhalb der EDZ bewirken eine signifikante Erhöhung der hydraulischen Durchlässigkeit des Tongesteins. Dementsprechend beginnt der Quellprozess des Tongesteins, wenn das Wasser durch die EDZ in das Tunnelnahfeld transportiert wird. Um den Quellvorgang im instationären ungesättigten Zustand vorherzusagen, sollten der Sättigungsgrad und die Saugspannung als Zustandsgrößen berücksichtigt werden. Darüber hinaus müssen die mechanischen Wechselwirkungen zwischen Tunnelbauwerk und quellfähigem Tongestein, die zu unterschiedlichen Verformungsrandbedingungen führen (z. B. freies Quellen – kein Tunnelausbau, volumenkonstantes Quellen – steifer Tunnelausbau und Quellen unter kontrollierten volumetrischen Verformungen – kompressibler Tunnelausbau), in den numerischen Simulationen angemessen berücksichtigt werden. Zu diesem Zweck muss ein adäquates Quellgesetz auf Grundlage von Quelldruckversuchen unter verschiedenen Randbedingungen entwickelt werden. Bild 2 zeigt die neue Quelldruckzelle, die entworfen wurde, um solche komplizierten Versuche mit verschiedenen Tunnelbau relevanten Randbedingungen durchführen zu können.
2 | Quelldruck-Zelle für Tunnelbau relevante Randbedingungen
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Bei Tunneln in quellfähigen Böden mit kompressiblem Ausbau ist zu beachten, dass das Verformungsverhalten des Tunnelausbaus die Größe und Form der EDZ beeinflusst, was wiederum den maximalen Quelldruck und dessen Entwicklungsgeschwindigkeit beeinflusst. Dementsprechend erfordert die Konstruktion des gesamten Boden-Tunnel-Systems eine adaptive Simulation, die die gekoppelte Beziehung zwischen Quelldruck und Tunnelstruktur über die Zeit berücksichtigt.
2 Entwicklung eines verformungsfähigen, schadenstoleranten Tunnelausbaus
Das Design eines nachgiebigen Ausbaus erfordert kompressible Materialien in Verbindung mit einem mehrschichtigen Aufbau der Segmente unter Berücksichtigung der Boden-Tunnel-Interaktion (Bild 1, links). Zu diesem Zweck wurden stauchfähige zementgebundene Materialien entwickelt, die zum einen als Ringspaltmörtel und zum anderen als zusätzliche Stauchschicht auf der Tübbingaußenseite angeordnet werden (Bild 1, rechts). Durch die Verwendung stauchfähiger Additive (z. B.: Blähglasgranulat, expandiertes Polystyrol) und stark lufteintragender Zusatzmittel kann ein hoher Grad an Kompressibilität erreicht werden (Bild 1, Mitte). Zur experimentellen Untersuchung des Stauchverhaltens wurden Druckversuche in einer vollumschließenden, steifen Probenhalterung durchgeführt (Bild 3, links).
3 | Links: Versuchsaufbau und Mikrostrukturen verschiedener Materialien. Rechts: Spannungs-Stauchungs-Kurven mit Aufnahmen der Computersimulation
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Durch die Variation materialtechnischer Parameter (z. B.: Art der stauchfähigen Additive, Volumenanteile, Wasserzementwert) und versuchstechnischer Parameter (z. B.: Querdehnungsbehinderung, Verformungsgeschwindigkeit) wurden maßgebliche Einflussfaktoren auf das Stauchverhalten identifiziert [2]. Bild 3 (rechts) zeigt beispielhaft die in Stauchversuchen ermittelten Spannungs-Stauchungs-Kurven von ausgewählten Materialkompositionen. Da die geologischen Bedingungen entlang und um den Tunnel herum jedoch sehr unterschiedlich sein können, muss auch die Verformungsfähigkeit des Tunnelausbaus entsprechend angepasst werden. Zu diesem Zweck werden Computersimulationen mit Hilfe der Diskrete-Elemente-Methode durchgeführt, um das Design geeigneter Materialkompositionen zu unterstützen. Sie zeigen (Bild 3, rechts), dass eine Schädigung in Verbindung mit einem Porenkollaps im oberen Teil der Probe einsetzt und sich ein Kompressionsband bildet, das sich sukzessiv nach unten ausbreitet [3]. Dieser Mechanismus ermöglicht einen hohen Kompressionsgrad ohne signifikanten Spannungsanstieg. Nach dem vollständigen Porenkollaps kommt es zu einer Versteifung des Materials. Neben diesen grundlegenden Untersuchungen zum Stauchverhalten werden weitere verfahrens- und herstellungstechnische Aspekte (lange Verarbeitungszeit, hohe Fließfähigkeit, rasche Steifigkeits- und Festigkeitsentwicklung der Ringspaltverfüllmaterialien bzw. adäquate Herstellkonzepte für Stauchschichten auf der Tübbingaußenseite) berücksichtigt. Auf Strukturebene wird der Raum für die Stauchschicht auf dem Tübbing durch die Optimierung der Tragfähigkeit mit verstärkten Fugen und dem Einsatz von Hochleistungsmaterialien (HPC) geschaffen [4]. Das Gesamtverformungs- und tragverhalten des mehrschichtigen Ausbausystems (Tübbing – Stauchschicht – stauchfähiger Ringspaltmörtel) wird in einem neu entwickelten Versuchsstand (Bild 4) untersucht, der durch eine gezielt konzipierte Lasteinleitungskonstruktion (Horizontale und radiale Lasten) realistische Randbedingungen ermöglicht.
4 | Ansicht des neu entwickelten Versuchsstands zur Untersuchung des Verformungs- und Tragverhaltens von mehrschichtigen Ausbausystemen (Tübbing – Stauchschicht – RSVM) unter realistischen Randbedingungen. Die Ergebnisse der Computersimulation werden für einen konventionellen (linke Hälfte des Segments) und für einen verformbaren Ringspaltmörtel (rechte Hälfte des Segments) gezeigt
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