Echtzeitsimulationen zur vortriebsbegleitenden Prozesssteuerung
Echtzeitsimulationen erlauben die Unterstützung der Steuerung von Tunnelvortriebsmaschinen während des Vortriebs. Dies erfordert den Aufbau von Simulationsmodellen in der Entwurfsphase eines Tunnelbauprojekts und ein kontinuierliches Update dieser Modelle mit Monitoringdaten während des Tunnelvortriebs. In diesem Beitrag werden Echtzeitprognosen baubetrieblicher Prozesse und baubegleitende Echtzeitprognosen der zu erwartenden Setzungen und potentiellen Gebäudeschäden vorgestellt, die zur Optimierung des Tunnelvortriebs in innerstädtischen Bauprojekten genutzt werden können.
1 Einleitung
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat 2010 den Sonderforschungsbereich „Interaktionsmodelle für den maschinellen Tunnelbau“ (SFB 837) an der Ruhr-Universität Bochum eingerichtet. In Sonderforschungsbereichen arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen an einem gemeinsamen Forschungsthema. Der SFB 837 ist derzeit das weltweit größte Verbundforschungsvorhaben im Bereich Tunnelbau.
Die Forschungsthemen des SFB 837 betreffen verschiedene, für die Planungs- und die Ausführungsphase relevante numerische und informatische Modelle, experimentelle Methoden und Konzepte für neue Ausbau- und Stützmaterialien für den maschinellen Tunnelbau.
In einer Serie kurzer Beiträge werden in der Zeitschrift tunnel ausgewählte Forschungsergebnisse mit Fokus auf das Transferpotential für die Tunnelbaupraxis vorgestellt. Dieser erste Beitrag ist dem Thema Echtzeitsimulationen gewidmet, die zur Unterstützung der Vortriebssteuerung genutzt werden können. Es folgen weitere Beiträge zu neuartigen Tunnelausbaukonzepten, Vorauserkundungs- und Monitoringverfahren, Bodenabbau und Werkzeugverschleiß, Ortsbruststützung, Bodenkonditionierung und Materialtransport in Hydro- und EPB-Schildmaschinen sowie zur interaktiven Trassenplanung.
2 Echtzeitsimulationen
im maschinellen Tunnelbau
Echtzeitsimulationen können, ergänzend zu den üblichen Monitoringkampagnen, zur Unterstützung der Kontrolle und der Steuerung von Tunnelbauprozessen herangezogen werden. Dies umfasst sowohl die Logistik- und Produktionsprozesse als auch die vortriebsbedingten Risiken für Bestandsbauwerke. Für Echtzeitsimulationen, die im Rahmen des Computational Steering eingesetzt werden, müssen in der Planungsphase eines Tunnelbauprojekts Prognosemodelle aufgebaut werden, die während des Vortriebs kontinuierlich anhand von Monitoringdaten aktualisiert werden (Bild 1). Damit können verschiedene Szenarien der TBM-Prozessparameter für die kommenden Vortriebsschritte untersucht werden, um Entscheidungen zu treffen und den Bauprozess zu optimieren.
Für die Nutzung konsistenter baubegleitender Echtzeitsimulation ist die Einbettung aller verfügbaren Daten in einer stets aktuellen Datenbasis essentiell. Zum Zweck des Datenmanagements für Tunnelbauprojekte wurde daher eine ganzheitliche Tunnelinformationsplattform entwickelt, um solche Simulationsprozesse grundlegend zu unterstützen (Bild. 2, links). Die Plattform implementiert einen Multimodell-Ansatz, um verschiedene Modelle und Datenquellen in einem ganzheitlichen Building Information Model (BIM) für Tunnelbauprojekte [1], hier als Tunnel Information Model (TIM) bezeichnet, abzubilden. Die berücksichtigten Modelle werden hierbei domänenspezifisch unterteilt. So gibt es Modelle für das Tunnelbauwerk, die Tunnelvortriebsmaschine (TBM), Bestandsbebauung und geologische Datengrundlagen, wie Bohrkerninformation oder abgeleitete Bodenmodelle. Die Berücksichtigung weiterer Datenquellen hängt von den ausgeführten Anwendungsfällen ab, wie beispielsweise die Integration von Setzungsmessungen und Monitoring-Daten, um diese in eine 4D-Setzungsanalyse zusammenzuführen (Bild 2, rechts, [1]) oder mit einer Echtzeitsimulation zu vergleichen [2]. Für die diversen Anwendungsfälle werden sogenannte Linkmodelle zur dauerhaften und nachhaltigen Abbildung von modellübergreifenden Zusammenhängen genutzt. Einen weiteren Aspekt stellt die Entwicklung von Model View Definitions (MVDs) dar. Auf der einen Seite können hiermit Modelle so gefiltert werden, dass diese nur die für einen nachfolgenden Prozess relevanten Informationen bereitstellen. Auf der anderen Seite kann mit MVDs die Erfüllung von Modellanforderungen sichergestellt werden, wie beispielsweise die Verfügbarkeit und Formatierung spezifischer Entitäten und verknüpfter Eigenschaften.
3 Logistik- und
Produktionsprozesssimulation
Um die Planung der Logistik maschineller Tunnelvortriebe zu verbessern, wurden tunnelbauspezifische Simulationsmodelle entwickelt. Die Simulationsmodelle bilden die Prozesse eines Tunnelvortriebs und ihre Abhängigkeiten ab und berücksichtigen auch unsichere Randbedingungen, wie z. B. geologische Aspekte. Mithilfe der Simulationen können so bereits in der Planungsphase die Leistungsfähigkeit und die Sensitivität wichtiger Bestandteile des gesamten Vortriebssystems analysiert werden. Darüber hinaus können mögliche Engpässe in der Lieferkette und mögliche Störungsursachen identifiziert und optimiert werden [3].
Der Einsatz der Simulationskonzepte wird derzeit für baubetriebliche Analysen und eine Echtzeitsteuerung der Logistik- und Produktionsprozesse während des Bauablaufs erweitert. Werden Abweichungen zwischen dem geplanten Soll- und dem aktuellen Ist-Fortschritt festgestellt, können diese mit Hilfe von Simulationen analysiert und mögliche Gegensteuerungsmaßnahmen bewertet werden. Dazu wird der in Bild 3 dargestellte Regelkreis verfolgt, welcher eine kontinuierliche Aktualisierung der Simulationsmodelle mit Echtzeitdaten vorsieht. Darüber hinaus kann eine Identifikation und Integration von Schwellenwerten in die Simulationsmodelle eine frühzeitige Erkennung von Störungen ermöglichen. Die Anwendung der Simulationsmodelle während des Bauablaufs kann somit das Störfallmanagement und den Entscheidungsprozess bei der Implementierung von Störfallmaßnahmen unterstützen.
4 Setzungsprognose
und Gebäudeschadensbewertung
Echtzeitsimulationen können zur Kontrolle von Setzungen und zur Reduzierung von Gebäudeschädigungsrisiken im innerstädtischen Tunnelbau genutzt werden. Dazu wurde ein simulations- und monitoringbasiertes Assistenzsystem zur Echtzeitsteuerung maschineller Tunnelvortriebe (SMART) entwickelt, das auf Laptops oder Tablets ausgeführt werden kann. Die App wird in der Entwurfsphase eines Tunnelbauprojekts anhand von Finite Elemente Simulationen aufgebaut, bei denen alle Schritte des Tunnelvortriebs abgebildet werden, d. h. der Bodenabbau mit Ortsbruststützung, die Installation des Tunnelausbaus mit Ringspaltverpressung und die Interaktion des Vortriebsprozesses mit Bestandsbauwerken [4]. Die Gebäudeschadensrisiken werden mittels Grenzdehnungen bewertet, die entweder anhand von Gebäudeersatzmodellen oder detaillierten Finite Elemente Simulationen der Tragwerke ermittelt werden. Dabei werden auch Unschärfen der geotechnischen Parameter berücksichtigt.
Für Echtzeitprognosen während des Tunnelvortriebs werden maschinelle Lernverfahren und Ersatzmodelle eingesetzt, beispielsweise künstliche neuronale Netzwerke und Proper Orthogonal Decomposition Verfahren [5]. Dadurch kann der Anwender in Sekundenschnelle die Auswrikungen der einzustellenden Prozessparameter auf die nächsten Vortriebsschritte
erkennen und die Prozessparameter optimieren, um zulässige Setzungen nicht zu überschreiten und die Schadensrisiken für Gebäude zu reduzieren (siehe z. B. [6], [7]).
Bild 4 zeigt eine Anwendung des Assistenzsystems SMART. Durch Auswahl der Stütz- und Verpressdrücke werden die zu erwartenden Setzungen und die damit einhergehenden Schadensrisiken eines Gebäudes angezeigt. Durch Auswerten verschiedener Szenarien dieser Prozessparameter kann die Steuerung der TBM in Echtzeit unterstützt werden. Das Assistenzsystem SMART wird kontinuierlich während des Vortriebs mit Setzungsmessungen und Maschinenprozessdaten abgeglichen und nachkalibriert.
5 Kooperationsangebote
Die im Rahmen der Grundlagenforschung entwicklten Echtzeitsimulationen im maschinellen Tunnelabu bieten vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Tunnelbaupraxis. Die skizzierten Szenarien können beispielsweise durch kooperative Forschung und Entwicklung zu maßgeschneiderten Produkten oder Dienstleistungen geführt werden. Die dargestellten Modelle und Methoden werden derzeit im Rahmen verschiedener Projekte gemeinsam mit Partnern aus der Industrie und Planungsbüros anhand von Referenzprojekten getestet und weiterentwickelt. Das Team des SFB 837 ist an einer weiteren Zusammenarbeit mit der Tunnelbauproaxis interessiert. Bitte kontaktieren Sie uns unter ; wir beraten Sie gerne.