Belgien

Eisenbahntunnel Liefkenshoek in Antwerpen

Im Gebiet des Seehafens von Antwerpen wird das zurzeit größte Infrastrukturprojekt in Belgien als Public Private Partnership-Projekt (PPP) ausgeführt: Die Unterquerung der Schelde und des Kanaldocks. Im Jahr 2013 wird der neue Tunnel für Güterzüge das linke mit dem rechten Ufer des Flusses Schelde verbinden.

Infolge der intensiven Nutzung des Seehafens von Antwerpen/B, insbesondere auf dem linken Ufer des Flusses Schelde mit einem jährlichen Umschlag von 7,5 Mio. Containern, wird in diesem Gebiet ein beträchtlicher Zuwachs im Gütertransport per Bahn erwartet. Der Hauptbahnknotenpunkt befindet sich auf dem rechten Ufer (Antwerpen Noord). Sobald das neue Gezeitendock fertig gestellt ist, werden bis zu 100 Güterzüge/Tag zwischen den beiden Flussufern verkehren. Bild 1 gibt einen schematischen Überblick über die Hafeneinrichtungen. Die Verbindung ermöglicht es, dass die Züge hin- und herfahren, ohne das Hafengebiet verlassen zu müssen. Darüber hinaus werden die Betriebskosten für die Züge niedriger, da sich die Bahnstrecke zwischen den größeren Orten auf dem linken und rechten Ufer um ungefähr 22 km verringert.
Bei der Planung des Projektes war der Straßentunnel unter der Schelde – ein Absenktunnel – zu berücksichtigen. Er wurde in den 1980er-Jahren gebaut und liegt in der Nähe der neuen Tunneltrasse. Außerdem waren die Beschränkungen bezüglich der Gradienten für Eisenbahngleise zu beachten, die sehr viel flacher sind als diejenigen für Straßen.
Das Eisenbahnprojekt „Liefkenshoek Rail Link Project (LHSV)“ ist eines der größten Infrastrukturprojekte, die jemals in Belgien ausgeführt wurden. Bei dem Projekt handelt es sich um ein Public Private Partnership-Projekt (PPP) mit einer Laufzeit von 38 Jahren. Das ungefähr 16,2  km lange Infrastrukturprojekt für den Eisenbahngüterverkehr, welches den südlichen Teil des Hafens (linkes Ufer) mit der Eisenbahnlinie 11 im nördlichen Hafen von Antwerpen (rechtes Ufer) verbindet, muss den Fluss Schelde und das Kanaldock B1-B2 unterqueren.

Projektbeschreibung
Der Bau des Projektes wurde in einem so genannten DBFM-Vertrag (Design, Build, Finance and Maintenance) mit einem Wert von ungefähr 680 Mio. Euro festgelegt, der den Entwurf, den Bau, die Finanzierung und die Wartung umfasst. 2 im Schildvortrieb herzustellende eingleisige Tun-nel mit einer Länge von etwa 5970  m und einem Innendurchmesser von 7,3  m sowie mehrere Kilometer an Tunneln in offener Bauweise mit tiefen Schlitzwänden und Zement-Bentonit-Wänden sind zu bauen.
Das Gesamtprojekt ist in 13 Bauteile (Kunstwerke KW) aufgeteilt, u.  a. in ein Aquädukt, die Sanierung des bestehenden, 30 Jahre alten Beverentunnels (der niemals genutzt wurde), den Startschacht, 2 TBM-Tunnel mit Querschlägen (CP) und Rettungsschächten (ES) sowie die Schlussrampe (Bild 2).
Die Projektausführung begann im November 2008 mit dem Aufbau der Baustellenein-richtung auf verschiedenen Baustellen. Der kritischste Teil ist der Bau des Startschachts, da die beiden TBM-Tunnel terminlich von ihm abhängen. TBM Nr. 1 beginnt im Januar 2010 mit dem Vortrieb, die zweite TBM mit einer zweimonatigen Verzögerung im März 2010. Die Arbeiten müssen im Juli 2013 fertig gestellt sein.

Geologie und Hydrogeologie
Die Geologie entlang der Tunnel besteht aus einer Auffüllung, quartären Sanden (Alluvium), mehreren Schichten aus tertiärem Sand verschiedener Formationen (Kattendijk, Merksem, Berchem, Lilo, Kruisschans) mit geringen Anteilen an Ton und Glaukonit sowie aus Boomse Klei, einem steifen, überkonsolidierten und zerklüfteten tertiären Ton, der sich als Dichtungsschicht darunter befindet (Bild 3). Zum größten Teil liegt die Tunneltrasse in tertiären Sanden, allerdings reicht der Ton hinauf bis auf maximal 40 % des Tunnelquerschnitts.
Besondere Aufmerksamkeit muss dem Flussbett der Schelde mit seinen Schluffablagerungen und dicken Schicken von gestörtem Sedimentboden gewidmet werden sowie dem Kanaldock, wo ebenfalls Schluffablagerungen zu berücksichtigen sind. Im Kanaldock soll der Schluff auf Wunsch des Auf-traggebers durch Sand ersetzt werden.
Im Verlauf des Projektes sind ein freier Grundwasserspiegel oberhalb des sogenannten „Polderkleis“ (Ton) in den quartären Sanden und 2 gespannte Grundwasserspiegel oberhalb des Boomse Kleis zu berücksichtigen, die durch die mit Tonlinsen durchsetzten Sande von Kruisschans aufgespalten sind. Des Weiteren sind die Wasserstände entlang der Ufer der Schelde auf der Landseite stark von den Gezeiten der Schelde abhängig, die zwischen +8,5  m TAW (Tweede Algemeene Wateraanpassing) und –1,0  m TAW schwanken. Je nach Entfernung von der Schelde ist eine Verzögerung im Anstieg/Absinken des Wasserspiegels einzukalkulieren.

Angebotsphase, Verhandlungen und Auftrag
Vor Ausgabe der Ausschrei-bung für dieses gewaltige Projekt hatte der Auftraggeber zahlreiche Alternativen in Er-wägung gezogen. Im Jahr 2006 wurden die Ausschreibungsunterlagen für dieses größte Infrastrukturprojekt Belgiens, bei dem die Infrabel N.V. der Bauherr ist, einer beschränkten Anzahl von präqualifizierten Bietergemeinschaften angeboten. Die Angebotsunterlagen bestanden u.  a. aus einem von dem technischen Berater des Auftraggebers (Tuc Rail Engi-neering) erstellten grundsätzlichen Referenzentwurf, einem strengen Anforderungskatalog mit mehreren Sonderanforde-rungen, projektspezifischen Be-schreibungen, einem komplet-ten Satz an Bodengutachten und einer so genannten Bewer-tungsmatrix mit vom Bieter zu beantwortenden Fragen. Die Antworten auf diese Fragen wurden vom Auftraggeber ausgewertet und in ein Punkte-Rangsystem umgewandelt.
Nach mehreren Ausschrei-bungsphasen wurde der DBFM-Auftrag im November 2008 an die erfolgreiche Bietergemein-schaft LocoRail N.V., bestehend aus der belgischen Firma CFE N.V., der französischen Firma VINCI Concession S.A. und der niederländischen Firma BAM PPP, als Projektgesellschaft vergeben.
Die Bau-Arbeitsgemeinschaft, THV LocoBouw, bestehend aus MBG/CFE, CEI-de Meyer, Vinci Construction Grands Projets und Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, erhielt den Bauauftrag von LocoRail N.V. Innerhalb der BauArbeitsgemeinschaft sind hauptsächlich MBG und CEI-de Meyer für die Bauarbeiten verantwortlich. Vinci und Wayss & Freytag, ein französischer und ein deutscher Tunnelbauspezialist, sind für die im Schildvortrieb zu erstellenden Tunnel und die Quer-schläge zuständig, wobei Vinci der technische Federführer ist.

KW 10 – Schildvortriebe mit Querschlägen
Im Weiteren wird der Ab-schnitt KW  10 erläutert, der aus 2 im Schildvortrieb herzustellenden Tunneln mit einer ungefähren Länge von 5972  m bzw. 5980  m besteht. Die Tun-nelauskleidung ist 0,4  m dick. Der Mindestkurvenradius beträgt 1500  m. Der Tunnelvor-trieb hat eine Neigung von maximal 1,25  %. Die Mindestbodenüberdeckung entlang der Tunneltrasse beträgt im Bereich des Kanaldocks etwa 3  m, was besondere Maßnahmen in diesem Gebiet erforderlich macht. Die maximale Überdeckung liegt bei ungefähr 33,6  m und die maximale Wassersäule über der Tunnelsohle beträgt ungefähr 40 m.
Entlang des Tunnels sind 13 Querschläge und 8 Anschlüs-se an Rettungsschächte herzustellen. In der Regel werden Querschläge und Rettungs-schächte abwechselnd im Ab-stand von ungefähr 300  m gebaut. Unterhalb des Flusses Schelde sind zwangsläufig 5 Querschläge im Abstand von ca. 250  m ohne dazwischen liegende Rettungsschächte zu errichten.
Die Tunnelvortriebe beginnen im Startschacht in der Nähe des Hafens Waasland. Der Zielschacht für beide TBM liegt auf dem rechten Ufer des Kanaldocks.

TBM, Separieranlage und Tübbinge
Die Schildtunnel werden mit 2 Mixschild-TBM von Herren-knecht vorgetrieben. Jede TBM hat einen Durchmesser von ungefähr 8,4  m und einen konischen Schildschwanz. Die Vortriebsanlage, einschließlich 5 Nachläufern, ist ungefähr 110  m lang. Beide TBM werden mit einem Elektroantrieb mit einer installierten Vorschub-kraft von ca. 60 000  kN ausgestattet. Der Betriebsdruck der TBM beträgt 4  bar. Die TBM wird mit einem geschlossenen Schneidrad ausgerüstet, das sich vor dem Schild dreht. Der Entwurf der TBM und der Vortriebsanlage wurde von Herrenknecht in enger Abstim-mung mit erfahrenen Spezia-listen beider Bauunternehmen entwickelt (Bild 4).
Die Aufbereitung der Stütz-flüssigkeit und das Schlamm-Management wird mit einer Separieranlage des französischen Herstellers MS France durchgeführt, der den Lieferauftrag erhielt. Wegen der besonderen Eigenschaften des Antwerpener Sands wurden während der Konstruktion der Separieranla-ge mehrere Tests mit Bodenpro-ben durchgeführt. Der separierte Sand wird für Aufschüttungen an anderen Stellen des Projektes wiederverwendet.
Die Tunnelringe bestehen aus 8 Fertigteilelementen mit einer Bogenlänge von ungefähr 3,5  m und einer Breite von 1,8  m. Ein konischer Schluss-stein schließt den Ring. Die Tübbinge müssen in einer Betongüte von C50/60, XF2 und mit einer inneren Beton-überdeckung von mindestens 40 mm hergestellt werden.
Beim Entwurf der normalen Bewehrungskörbe für die Tüb-binge lag der Hauptschwer-punkt auf der Tatsache, dass 53 000 Tübbinge (Bild 5) zu produzieren sind. Daher wurde zusammen mit dem Lieferanten der Betontübbinge, der deutschen Max Bögl Fertigteilwerke GmbH & Co. KG, ein für die Massenproduktion geeigneter Bewehrungskorb entwickelt. Im Bereich der Querschläge und der Anschlüsse an die Rettungs-schächte werden spezielle Ringe mit einem größeren Beweh-rungsanteil eingebaut. Die Quer-schläge werden im Schutze einer Bodenvereisung hergestellt.
Gemäß dem Anforderungs-katalog des Auftraggebers muss die Tunnelauskleidung einer Brandlast gemäß der RWS-Feuerkurve standhalten. Der Auftraggeber forderte daher, dass der Betonmischung, die mit Kalksteinzuschlägen zu erstellen war, 3  kg/m³ PP-Fasern beizufügen seien. Darüber hinaus muss ein zusätzlicher Brandschutz auf der Innenfläche des Tunnels angebracht werden. Der entsprechende Brand-schutz war durch einen Groß-brandversuch mit belasteten Betonfertigteilen nachzuweisen. Die bei der MFPA Leipzig mit verschiedenen Mengen und 2 Typen von PP-Fasern durchgeführten Testserien zeigten den positiven Effekt von PP-Fasern. Aufgrund der Ergeb-nisse, die auch mit 2  kg/m³ erreicht wurden, schlugen LocoBouw und LocoRail dem Auftraggeber vor, die Fasermenge zu reduzieren, was eine bessere Verarbeitbarkeit des Betons zur Folge hatte. Mit der Pro-duktion der Tübbinge im Werk von Max Bögl in Hamminkeln/D wurde im Mai 2009 begonnen.

Unterquerung der Schelde und des Kanaldocks
Die TBM muss den Fluss Schelde mit einer sehr geringen Überdeckung unterqueren. Der Großteil der Überdeckung besteht aus gestörten tertiären Sanden mit ungünstigen Bodeneigenschaften und einem spezifischen Gewicht von nur 14  kN/m³. Über den gestörten tertiären Sanden wurde entsprechend der vom Auftraggeber durchgeführten Bodenuntersu-chung eine Schluffschicht erwartet. Die Dicke der Schicht war nicht genau bekannt. LocoBouw beschloss, eine hochauflösende seismische Messung in der Schelde durchzuführen, um die Dicke des Schluffs zu ermitteln. Die Ergebnisse zeigen eine sehr dünne Schluffschicht an und bestätigten die Dicke der gestörten tertiären Sande, wie in der Untersuchung des Auf-traggebers vorausgesagt. In Querrichtung verläuft die Schicht der gestörten Sande offensichtlich nicht mit der erwarteten Nei-gung, was schon beim Absenken des Straßentunnels Liefkenshoek hätte festgestellt werden sollen.
Außerdem kann der Wasser-stand des Flusses Schelde mit den Gezeiten um 9,5  m zwischen Hoch- und Niedrigwasser-stand variieren, was bei der Einrichtung der Stützdruckanlage der TBM berücksichtigt werden muss.
Da die Bodenüberdeckung über dem Tunnel sehr gering ist, liegt der Mindeststützdruck der Bentonitsuspension an der Ortsbrust nahe am maximalen Stützdruck. Es ist festzustellen, dass Drucklufteinstiege am tiefsten Punkt des Flussbetts nicht möglich sind. Deshalb werden die Schneidräder der beiden TBM während eines Wartungsstopps vor dem Pas-sieren dieses sehr kritischen Abschnitts überprüft.
Der kritischste Teil des Pro-jektes ist der Vortrieb der beiden Tunnel unter dem Kanaldock wegen der sehr geringen Über-deckung von lediglich 1,1  m in Verbindung mit der Forderung des Auftraggebers, das Kanal-dock für große Schiffe frei zu halten. Während der Bauzeit muss in dem Dock zu jeder Zeit ein bestimmter Wasserstand aufrechterhalten werden. Die Steigung der Eisenbahngleise wurde so steil wie möglich vorgesehen, um die Tunnel so tief wie möglich zu halten. Da der derzeitige Boden im Kanaldock aus einer Schluff-schicht besteht, die maximal bis zur Tunnelachse herunterreicht, bat der Auftraggeber darum, vor dem Durchfahren mit den TBM den Schluff durch verdichteten Sand zu ersetzen. Um die Menge an verdichtetem Sand zu reduzieren, schlug der Auftrag-geber vor, oberhalb des Tunnels eine 2  m dicke Betonplatte als Ankerschutz und als zusätzliches Gewicht herzustellen, um die Durchfahrt der TBM zu ermöglichen.
Während der Ausführungs-planung präsentierte LocoBouw einen Alternativentwurf für den Bodenaustausch in Kombination mit einer 2  m dicken Stahlbetonplatte, um das temporäre Verfüllen auf einen Mindestbereich zu reduzieren und das Sicherheitsniveau während der Durchfahrt zu erhöhen. Loco-Bouw wird eine ungefähr 250  m lange und 35  m breite Spundwandbaugrube herstellen, in welcher der Schluff durch einen Mörtel mit niedriger Fes-tigkeit ersetzt wird (Bild 6). Der Mörtel wird von einer 2  m dicken Stahlbetonplatte bedeckt. In der Nähe der Böschung erfolgt eine lokale temporäre Ver-füllung. Mit dem Mörtel soll eine höhere Stabilität unterhalb der Platte erreicht werden als dies mit dem verdichteten Sand möglich ist.

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