Prozessorientierte numerische Vortriebsmodellierung – Trassenplanung für den innerstädtischen Tunnelbau
Die Entwicklung einer interaktiven Echtzeit-Plattform für die digitale Exploration und Bewertung verschiedener Trassenführungen im innerstädtischen Tunnelbau stellt ein wertvolles Werkzeug während des Planungsprozesses zur Unterstützung der Entscheidungsfindung dar. Eine solche Plattform sollte die visuelle Erkundung und parametrische Generierung von realisierbaren Trassenverläufen unter Berücksichtigung aller Projektentwurfskriterien ermöglichen. Dieser Beitrag stellt ein digitales interaktives Trassierungswerkzeug für den kollaborativen Planungsprozess vor, in welchem Simulationsergebnisse, d. h. Setzungen, Bauzeit und eine Schadensbewertung der existierenden Bebauung, integriert und in Echtzeit visualisiert werden.
1 Digitale Planung von Linienführungen im maschinellen Tunnelbau
In der frühen Planungsphase maschineller Tunnelbauprojekte stellt die Trassenplanung, insbesondere in innerstädtischen Gebieten, eine große Herausforderung dar. Bei der Planung einer bestmöglichen Linienführung müssen eine Vielzahl von Randbedingungen und Anforderungen eingehalten werden. Neben geometrischen Vorgaben, wie der Querschnittsgestaltung oder Einschränkungen der Fahrdynamik, müssen weitere Einflüsse wie soziokulturelle Aspekte oder Sicherheitskriterien berücksichtigt werden. Hieraus ergeben sich in der Regel mehrere valide Varianten, die von Experten zur Findung einer Vorzugsvariante im Hinblick auf Risikominimierung und Kosteneffizienz evaluiert werden. Dies kann durch einen Vergleich der Varianten und ihrer Randbedingungen in einer sogenannten Bewertungsmatrix durchgeführt werden. Zur Unterstützung des bislang sehr aufwendigen und manuellen Planungsprozesses stellt die digitale Exploration und Bewertung der Linienführung von Tunneln ein wertvolles Instrument im Planungsprozess dar, um die Entscheidungsfindung für eine bestmögliche Trassenplanung zu unterstützen. So kann der Einfluss verschiedener Planungskriterien und deren gegenseitige Beeinflussung untersucht und bewertet werden.
Die Entwicklung eines solchen digitalen Instruments erfordert interaktive Konzepte zur Planung und Bewertung verschiedener Linienführungen. Eine visuelle Exploration sowie eine parametrische Generierung von Tunnelvarianten wird außerdem angestrebt. Der entwickelte Ansatz beinhaltet weiterhin die Untersuchung von digitalen Modellierungsmethoden und Hardwaregeräten, einschließlich Multi-Touch-Tischen, die die interaktive Planung von Trassen unterstützen und eine gleichzeitige Änderung und kollaborative Planung ermöglichen. Für die Bewertung einzelner Tunneltrassen und die Findung einer Vorzugsvariante werden Simulationsergebnisse in Echtzeit mit allen wesentlichen Planungskriterien hinsichtlich Ausführung und Betrieb der Tunnel sowie mit Risikomodellen bezüglich der Gefährdung der oberirdischen Bebauung, Entstehung von Setzungen und Bauzeitverzögerungen verknüpft und visualisiert. Bild 1 illustriert die im SFB 837 entwickelten interaktiven Konzepte zur Planung und Trassenbewertung.
1 | Interaktive Planung und Trassenbewertung verschiedener Linienführungen
Credit/Quelle: RUB
2 Interaktive Exploration und Bewertung der Linienführung von Tunneln
Durch die interaktive Exploration wird ein Ansatz zur fortlaufenden Planung von Linienführung im maschinellen Tunnelbau realisiert [1]. Eine Untersuchung und Evaluation von Randbedingungen ermöglicht es, entscheidungsrelevante Informationen aus bestehenden Planungsunterlagen abzuleiten. Hierbei werden insbesondere die bestehende Bebauung und die vorherrschenden Baugrundverhältnisse umfassend integriert. Das Konzept der interaktiven Exploration adaptiert dabei das Tunnel Information Modelling Framework (TIM) [2] und ergänzt es um Komponenten zur Planung von Linienführungen. Die Integration eines Planungstisches und Konzepte zur berührungs- und gestengesteuerten Interaktion sind Teil der interaktiven Exploration und unterstützen die kollaborative Bearbeitung. Dafür wurden bekannte Strategien für die Umsetzung einer interaktiven Steuerung angepasst. Die konventionelle Planung einer Linienführung wurde adaptiert. Um eine lokale Modellierbarkeit zu ermöglichen, werden benötigte Kurvensegmente durch Freiformkurven angenähert und stetig durch angepasste NURBS Kurven aneinander angeschlossen. Es werden dabei geometrische Abhängigkeiten konstruiert, welche auf Konformität mit den Randbedingungen des Projekts geprüft werden und dadurch ein responsives Feedback ermöglichen. Die Prüfung wird durch die Adaption von Abfragesprachen zur regelbasierten Auswertung umgesetzt. Eine Abfragesprache ermöglicht es, routinierte Anfragen an ein Tunnelmodell zu stellen und dadurch eine Ableitung neuer Eigenschaften durchzuführen. Solche Abfragen können formell als Regeln definiert werden und somit Ergebnisse automatisiert bewerten. Damit lassen sich nicht nur planungstechnische Eigenschaften, sondern auch geometrische Abhängigkeiten überprüfen. Ein interaktiver Vergleich von Varianten wird dadurch ermöglicht (Bild 2). Konzepte zur Simulation und Risikobewertung werden für eine interaktive BIM basierten Planung und Durchführung miteingeschlossen.
2 | Darstellung von Linienführungsvarianten in einer Anwendung zur kollaborativen Planung
Credit/Quelle: RUB
3 Prozessorientierte Simulationsmodelle für den maschinellen Tunnelvortrieb
Für die interaktive Trassenplanung wird die Erstellung und Berechnung von FE-Simulationsmodellen automatisiert, um Auswirkungen des Tunnelvortriebs (z.B. Setzungen, Gebäudeschadensrisiken, Schnittkräfte in der Tunnelschale, Standsicherheit der Ortsbrust) verschiedener Trassenvarianten zu bewerten. Hierfür wird die Software für die Vortriebssimulation ekate [3] mit dem Tunnel Information Modell (TIM) gekoppelt, um die einzelnen Teilmodelle (Baugrund, Tunnelbauwerk, Bestandsbebauung) und die vortriebsbedingten Prozessparameter (Vortriebsgeschwindigkeit, Stütz- und Verpressdrücke) direkt aus dem TIM in die FE-Simulationssoftware zu überführen.
Um möglichst flexibel verschiedene Trassenverläufe zu generieren, ohne manuell die Vernetzung des Simulationsmodells anpassen zu müssen, wurde eine alternative Strategie entwickelt, bei der die räumliche Diskretisierung nicht mehr notwendigerweise der Geometrie der (bewegten) Berandungen folgt. Die Finite Cell (FC) Methode ermöglicht dies durch eine strukturierte regelmäßige Vernetzung des gesamten Gebiets. Berandungen und die Bodenschichten werden dabei durch die im TIM hinterlegte CAD-Oberflächengeometrie direkt übertragen (Bild 3). Anstelle einer fein aufgelösten Vernetzung entlang der Oberflächen von Gebietsgrenzen werden in ekate die Integrationsbereiche innerhalb der von verschiedenen Gebieten geschnittenen Elemente adaptiv über Octree-Algorithmen angepasst.
3 | Automatisierte Erstellung und Analyse des FC-Simulationsmodells auf Basis von im TIM hinterlegten CAD-Modellen
Credit/Quelle: RUB
Eine solche automatisierte Modellerstellung ist für die Interoperabilität mit der interaktiven Trassenplanung essentiell. Auf der einen Seite können damit FE-Simulationsmodelle überaus effizient bereitgestellt und abgerufen werden. Auf der anderen
Seite werden die berechneten Ergebnisse automatisch in das TIM eingebunden. Um eine interaktive Bewertung für unterschiedliche Trassenvarianten in Echtzeit zu ermöglichen, werden synthetische Daten aus FE Simulationen unterschiedlicher Trassenvarianten erzeugt und mittels maschineller Lernverfahren in Form simulationsbasierter Ersatzmodelle zugänglich gemacht.
4 Modellbasierte Bewertung & Risikoanalyse
Für die Findung einer Vorzugsvariante werden neben der Berücksichtigung von Setzungen auch das Schädigungspotential von Gebäuden sowie die Bauzeit und Baukosten herangezogen. Auf Basis der FE-Analyse zufällig generierter Trassenvarianten werden die Schädigungsrisiken der oberirdischen Bebauung für den betrachteten Planungsausschnitt mittels Grenzdehnungen bewertet und Schadensflächen unter Berücksichtigung von Datenunschärfe generiert [5]. Diese Schadensflächen werden wiederum in das interaktive Planungswerkzeug zur Bewertung der Trassenvarianten integriert und visualisiert.
Für den Vergleich der Bauzeit der Trassenvarianten kann die Prozesssimulation herangezogen werden. Im Rahmen des SFB 837 wurden Logistiksimulationsmodelle entwickelt, mithilfe derer die Bauzeit unter Berücksichtigung unscharfer Eingangsparameter prognostiziert werden kann. In den Modellen werden die Abhängigkeiten der Produktions- und Logistikprozesse abgebildet und die Auswirkungen der zu durchörternden Bodenschichten auf die Wartungspositionen und -dauern einbezogen [6]. Durch die Verknüpfung der Simulationsergebnisse mit dem interaktiven Planungstool kann die Bauzeit als ein weiteres Kriterium zur Findung einer Vorzugsvariante integriert werden.