Abwasserkanal Emscher: TBM-Navigation und Sicherheitskonzept von VMT im BA 40
Der Bau des 51 km langen Abwasserkanals Emscher (AKE) ist das größte Einzelprojekt im Rahmen des Emscher-Umbaus im deutschen Ruhrgebiet und zählt unter technischen und finanziellen Gesichtspunkten zu den größten Herausforderungen, die die Emschergenossenschaft als Bauherr gemeinsam mit den Baupartnern zu bewältigen hat. Unter den einzelnen Bausteinen des Großprojektes sticht der Bauabschnitt (BA) 40 nicht nur
aufgrund seiner Ausführung in Tübbingbauweise hervor.
Für den rund 10 km langen Abschnitt des neuen Abwasserkanals, der von der ARGE Emscher BA 40, bestehend aus Porr Bau GmbH und Porr Deutschland GmbH, als Doppelrohrsystem DN 2600 parallel aufgefahren wurde, hat die VMT GmbH unter anderem die Navigationstechnologie geliefert. Hier blickt das Unternehmen auf eine 20-jährige Erfahrung zurück: VMT-Navigationssysteme wurden für unterschiedliche Arten von Vortriebsmaschinen
entwickelt und sorgen dafür, dass selbst kilometerlange Tunnel mit höchster Genauigkeit ihr Ziel erreichen.
Darüber hinaus hat VMT ein System für ein Brandschutz- und Rettungskonzept bereitgestellt, das allen Koordinations- und Sicherheitsanforderungen auf der Großbaustelle gerecht wird. Ein leistungsfähiges Kommunikations- und Sicherheitssystem stellt dabei in jeder Bauphase sicher, das im Arbeitsbetrieb und in
Notsituationen alle betroffenen Personen miteinander in Kontakt stehen, geortet und alarmiert werden können. Die neuentwickelte Systemlösung SCoUT (Safety Coordination by Underground Tracking, ehemals HADES) zur Ortung und Erfassung von
Personen, Fahrzeugen und mobiler Ausrüstung unter Tage, wurde auf der Großbaustelle erstmals eingesetzt.
Emscher-Umbau kostet 5,3 Milliarden Euro
Es ist ein Projekt der Superlative: Auf rund 5,3 Milliarden Euro summieren sich die Gesamtinvestitionen, die von der Emschergenossenschaft über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren in den Emscher-Umbau gesteckt werden. Rund 2 Milliarden Euro sind bislang schon in das Jahrhundertprojekt geflossen – so unter anderem für den Bau oder die Erweiterung von vier Kläranlagen, ca. 330 Kanalkilometern und den naturnahen Umbau von
ca. 120 km Gewässer.
Das größte Einzelprojekt stellt der Neubau des 51 km langen Abwasserkanals von der Kläranlage Dortmund-Deusen bis zum Klärwerk Emschermündung in Dinslaken dar. Rund 35 000 Kanalrohre in Nennweiten von DN 1400 bis 2800 und mehr als 16 000 Tübbingringe DN 2600 werden für den neuen Kanal verbaut, der in Tiefenlagen von 8 bis 40 m verläuft und ein Gefälle von 1,5 ‰ aufweist. Im Dezember 2013 begannen die Arbeiten am BA 40, der sich zwischen der Stadtgrenze Bottrop/Oberhausen und dem „Holtener Feld“ in Oberhausen erstreckt.
BA 40: Kanalrohr aus Tübbingen
Im Gegensatz zu den vorangegangenen Bauabschnitten wurde dieser rund 10 km lange, aus zwei nebeneinander verlaufenden Rohrleitungen bestehende Teil des neuen Abwasserkanals nicht im klassischen Rohrvortrieb aufgefahren, sondern aus Tübbingen erstellt – ein Verfahren, bei dem jedes neue Kanal-Segment in der Nennweite DN 2600 aus sechs Einzelelementen direkt in den Vortriebsmaschinen zusammengefügt wurde. Mehr als 108 000 Tübbinge wurden bis zum Abschluss der Vortriebsarbeiten des BA 40 im Juni 2017 verbaut. Den erfolgreichen Durchstich der beiden Vortriebsmaschinen bezeichnete die Emschergenossenschaft als „einen der wichtigsten Momente in der Geschichte des Emscher-Umbaus“.
Vor allem aufgrund der langen Fließ- und Verweilzeiten des Abwassers und der daraus resultierenden Korrosionsgefahr bestehen die Tübbinge aus säurebeständigem Beton; zusätzlich wurden die Segmente im Bereich der Schächte noch mit einer Polymer-Betonauskleidung als abdichtende Schutzschicht versehen.
Die EPB-Schildmaschinen von Herrenknecht fuhren die beiden parallel verlaufenden Haltungen in leicht versetzter Anordnung auf. Bei den Erddruckschilden dient ein Erdbrei aus abgebautem Material als plastisches Stützmedium. Dies ermöglicht den nötigen Ausgleich der Druckverhältnisse an der Ortsbrust, verhindert ein unkontrolliertes Eindringen des Bodens in die Maschine und schafft die Voraussetzung für einen schnellen und setzungsarmen Vortrieb. Eine Förderschnecke transportiert das abgebaute Material vom Boden der Abbaukammer auf ein Förderband. Dabei sichert das Zusammenspiel der Förderrate der Schnecke und der Vortriebsgeschwindigkeit die präzise Steuerung des Stützdrucks des Erdbreis. Mittels Erddrucksensoren in der Abbaukammer wird der Gleichgewichtszustand kontinuierlich überwacht.
Für das Auffahren der beiden Leitungen im Bauabschnitt 40 wurden insgesamt zehn Schächte und vier Anschlussschächte in Schlitzwandbauweise benötigt. Diese Schächte erreichen Durchmesser von bis zu 20 m und Tiefen von bis zu 40 m.
Anspruchsvolles Sicherheitskonzept
Neben dem kleinen Durchmesser und den teilweise äußerst engen Kurvenradien zählen die Einbauten (vornehmlich Rauchschotts) und Schachtöffnungen zu den technischen Herausforderungen des Projektes. Darüber hinaus stellen insbesondere die sehr hohen Anforderungen an das Brandschutz- und Rettungskonzept die an der Baumaßnahme Beteiligten vor eine große Aufgabe. Mit der Umsetzung beauftragt wurde die VMT GmbH, die zu den führenden Anbietern von Vermessungssystemen und -services im Tunnelbau und in der Industrievermessung zählt. „Unter anderem sollte ein Personenerfassungs- und Ortungssystem installiert werden, um die vorgegebenen Rettungszeiten, die den örtlichen Rettungskräften zur Verfügung stehen, realisierbar zu machen“, erklärt Dipl.-Ing. (FH) Nadine Fenrich, Senior Engineer bei der VMT GmbH. „Gefragt war ein modernes, modulares Kommunikations- und Sicherheitssystem, das die gesamte Baustelle vernetzt und das aufgrund seiner Flexibilität während des Projektverlaufs immer wieder an das aktuelle Brandschutz- und Rettungskonzept angepasst werden konnte.“ Mit Lösungen für eine Personenortung in Echtzeit, eine Rauchschott-Steuerung per Fernzugriff sowie eine intelligente, prioritätsorientierte Alarmierung lieferte das
Unternehmen Technik, die während der Bauzeit Schlüsselfunktionen erfüllt. Sie stellt bei Schadensereignissen und Rettungseinsätzen einen vollumfänglichen Überblick im Einsatz-Leitstand sicher und entspricht darüber hinaus den Anforderungen der Rettungseinrichtungen wie Feuerwehr oder Grubenwehr.
SCoUT Personenortungssystem
„Die eingesetzten Module verbinden neueste Technologien mit im Rettungseinsatz bewährter Technik. Dabei sind alle Komponenten so konzipiert, dass sie allen Einsatzbedingungen gerecht werden und ihre volle Funktionalität sichergestellt ist – auch beim Tragen von Atemschutzgeräten und schwerem Gerät“, erläutert VMT-Geschäftsführer Dipl.-Ing. (FH) Manfred Messing, der darauf hinweist, dass das Personenortungssystem SCoUT im Rahmen des Emscherprojektes seine erfolgreiche Premiere feiern konnte. Die Systemlösung besteht aus einer Software, dem SCoUT Control Center, Empfänger- bzw. Sendehardware und Ortungstranspondern, die an das jeweilige Projekt angepasst werden. Über Ortungstransponder, die am Mann getragen werden, lokalisiert und identifiziert das System kontinuierlich und verlässlich alle im Tunnel befindlichen Personen – auch diejenigen, die sich im Zug befinden. In der Leitstelle werden in Echtzeit alle Personen mit ihrer jeweiligen Position auf dem Bildschirm metergenau (1–3 m) angezeigt – „bei den oben erwähnten Bedingungen eine besondere Herausforderung“, sind sich Messing und Fenrich einig. Im Notfall versetzen die im SCoUT Control Center angezeigten Informationen die Einsatzleitung in die Lage, schnelle und fundierte Entscheidungen zu treffen. Rettungsmaßnahmen können entsprechend der aktuellen Situation veranlasst und effizient koordiniert werden: Beispielsweise werden Rettungsteams gezielt und ohne Verzögerungen zum Unglücksort dirigiert oder Personen aus Gefahrenzonen heraus zum nächstgelegenen abgetrennten Bereich geleitet.
Intelligente Alarmierung und Rauchschottsteuerung
Neben der Personenortung gehören die Rauchschott-Steuerung und eine sogenannte intelligente, prioritätsorientierte Alarmierung zu den weiteren Modulen der VMT-Konzeption. Die Rauchschott-Steuerung ermöglicht über die Visualisierungssoftware sowohl im Tunnel als auch von der Leitstelle aus die Bedienung der Rauchschotts, die im Brandfall eine Ausbreitung des Rauches verhindern. Da die Schotts von der Leitstelle aus exakt abgestimmt auf den Zug geöffnet und auch wieder geschlossen werden können, wird das Risiko von Rauchgasvergiftungen minimiert. Bei der intelligenten Alarmierung werden abgesetzte Notrufe sowie Alarme der automatischen Brandmeldeanlagen in Form von Sprach- und/oder Textnachrichten automatisch und ausfallsicher an die zuständigen Personen weitergeleitet. Sämtliche Module haben eines gemeinsam: Sie ermöglichen ein schnellstmögliches Eingreifen im Notfall und tragen so zu einer Optimierung der Sicherheit im Arbeitsumfeld bei.