Beobachtungsmethode in der Geotechnik – Verknüpfung von Messung und Simulation
Innerstädtische, geotechnische Bauvorhaben sind mit Risiken, wie der möglichen Schädigung bestehender Bebauung, verbunden. Die notwendigerweise ungenaue Kenntnis des Baugrundes im Vorfeld der Baumaßnahme bildet eine maßgebliche Ursache für das Bestehen derartiger Risiken. Die Beobachtungsmethode nach DIN 1054 definiert die normative Grundlage einer stetigen Verbesserung der über den Baugrund verfügbaren Informationen während der Bauausführung. Durch den Rückfluss der so verbesserten Planungsgrundlage in den Bauprozess können Schädigungsrisiken und andere Gefahrenpotenziale vor Eintritt erkannt und die Baumaßnahme optimiert werden. Kernelement der vorgestellten Methodik bildet die Verknüpfung einer automatisierten, messtechnischen Aufnahme des Baugrundverhaltens und dessen Prognose unter Anwendung numerischer Simulationsmodelle. Der Beitrag basiert auf ersten Ergebnissen des Verbundforschungsprojekts GeoTechControl (www.geotechcontrol.de).
1 Motivation und
Hintergrund
Grundlage von Planungen geo-‘
technischer Baumaßnahmen ist neben den bauwerksspezifischen Anforderungen an die Nutzung, der Gebrauchs-
tauglichkeit und der Dauerhaftigkeit die aufgenommene geologische Situation. Von ihr hängen der Entwurf der Tragstruktur des Baukörpers und dessen Bemessung ebenso wie die Wahl der zur Durchführung der Baumaßnahme geeigneten Herstellungsverfahren ab. Die während des Bauwerks- und Verfahrensentwurfs für die Planung nutzbaren Informationen über den Baugrund sind zwangsläufig mit Unsicherheiten behaftet. Die Anzahl der Aufschlussbohrungen ist begrenzt und kann bei der natürlichen Heterogenität des Baugrundes nur ein unvollständiges Bild von dessen Geometrie sowie der Variabilität der Bodenparameter innerhalb der Schichtgrenzen vermitteln. Des Weiteren weichen die aus Beprobungen gewonnenen Baugrundkennwerte aufgrund der Störung der entnommenen Bodenproben und des Skalenunterschiedes zwischen Probe und Baugrundschicht mehr oder weniger stark vom tatsächlichen Baugrundverhalten ab. Um das angestrebte Sicherheitsniveau zu erreichen erfolgt der Bauwerksentwurf daher vor dem Hintergrund einer mit Unsicherheiten behafteten Baugrundaufnahme für Parameterbereiche, die sogenannten oberen und unteren charakteristischen Werte.
Trotzdem dieses Vorgehen in der Regel einen überbemessenen Tragwerksentwurf zur Folge hat, kommt es bei geotechnischen Bauvorhaben immer wieder zu spektakulären Schadensfällen (Bild 1; Wannick, 2007; COI, 2005). Insbesondere dann, wenn einzelne Versagensmechanismen während der Planung nicht richtig erkannt wurden bzw. aus der Baugrundaufnahme nicht erkannt werden konnten.
Weiter besteht ein wesentliches Hauptelement komplexer geotechnischer Baumaßnahmen darin, dass eine Vielzahl verschiedener Spezialtiefbau- und Tunnelbauverfahren kombiniert werden. Insbesondere bei innerstädtischen Baumaßnahmen kommt es dabei immer wieder zum Abwägungsprozess zwischen der Durchführung von prophylaktischen Sicherheitsmaßnahmen mit den damit verbundenen Beeinflussungen des Baugrunds und der Auswahl reaktiver Maßnahmen, die lediglich im Bedarfsfall angewandt werden.
Zum Einen besteht die Anforderung an eine Baumaßnahme die Auswirkungen auf die Umgebung, insbesondere im innerstädtischen Bereich auf die angrenzende Bebauung, zu minimieren. Diese Minimierung ist häufig mit dem Vorsehen von weiteren geotechnischen Baumaßnahmen verbunden und bedeutet so zum Anderen einen Eingriff in die Baugrundstruktur und damit eine Änderung der Bodeneigenschaften. Diese beeinflussen in der Regel wieder die Bauverfahren.
Insofern ist eine konsequente Risikobetrachtung unter Einbezug aller Risikokomponenten bei geotechnischen Maßnahmen mit einer systematischen Gefährdungsidentifikation, einer umfassenden Ermittlung der aus dem Eintreten einer solchen Gefährdung resultierenden Folgen und Auswirkungen sowie einer konsequenten Planung von Sicherheitsmaßnahmen unerlässlich. Zielführend ist ein solches Risikomanagement nur, wenn es während der Bauausführung weiterverfolgt wird, und die Erkenntnisse, die gewonnen werden in die Anpassung des Konzeptes einfließen.
Mit der Beobachtungsmethode definieren die DIN 1054 (Baugrund – Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau) und der EC 7 die normative Grundlage für eine Adaption von Bauverfahren und Baumaßnahmen an das während des Baufortschrittes beobachtete Baugrundverhalten (Gudehus, 2004). Die Beobachtungsmethode kann somit gezielt eingesetzt werden, um die in der Planungsphase noch ungenaue Aufnahme der Baugrundsituation durch die Beobachtungen während der Baudurchführung zu verbessern und die Baumaßnahme entsprechend der neuen Erkenntnisse zu adaptieren und im Sinne einer Risikominimierung eingesetzt zu werden. Voraussetzung hierfür ist die Möglichkeit, durch das Einleiten von Maßnahmen der Gefahrenabwehr bzw. der Ausführungsadaption während der Bauphase auf das beobachtete Baugrundverhalten reagieren zu können.
2 Stand der Technik
Im Rahmen konventioneller Tunnelvortriebe ist der die Beobachtungsmethode kennzeichnende Regelkreis aus Baufortschritt, Beurteilung des Baugrundverhaltens und Anpassung des Bauprozesses integraler Bestandteil der Konstruktionsmethode (Moritz und Schubert, 2009).
Für Baumaßnahmen im innerstädtischen Bereich mit erhöhtem Schädigungsrisiko, wie zum Beispiel tiefe Baugruben oder der Tunnelunterfahrung von vorhandener Bausubstanz, ist die großflächige Beobachtung kritischer Messpunkte und -größen Stand der Technik. Autarke Messsysteme, Methoden zum automatisierten Einlesen der aufgenommenen Messdaten in zentrale Datenbanken, zu deren Auswertung und Visualisierung sowie der automatischen Benachrichtigung im Alarmfall sind kommerziell verfügbar (z.B. Maidl, 2008, Chmelina und Rabensteiner, 2010). Zunehmend werden dabei auch Internettechnologien eingesetzt, um die Ergebnisse den unterschiedlichen Projektbeteiligten ohne Zeitverzug verfügbar zu machen.
Während für die messtechnische Aufnahme und Kontrolle kommerzielle Programme verfügbar sind, ist die Kopplung zwischen simulationsbasierter Vorhersage des Baugrundverhaltens und dessen messtechnischer Aufnahme Gegenstand von Forschung und Entwicklung. Numerische Berechnungsverfahren sind mittlerweile ein fester Bestandteil der Ingenieurpraxis (z.B. Nagel, Stascheit, und Meschke, 2010).
3 Die Beobachtungsmethode nach DIN 1054
Die Beobachtungsmethode ergänzt den sequentiellen Bauablauf aus Planung und Bauausführung durch den Rückfluss der während des Baufortschrittes gewonnenen Erkenntnisse in die Planung (Bild 2). Der Normtext (DIN 1054: 4.5 (1)) spezifiziert das dazu erforderliche Vorgehen:
„Die Beobachtungsmethode ist eine Kombination der üblichen geotechnischen Untersuchungen und Berechnungen (Prognosen) mit der laufenden messtechnischen Kontrolle des Bauwerkes und des Baugrundes während dessen Herstellung […], wobei kritische Situationen durch die Anwendung geeigneter technischer Maßnahmen beherrscht werden müssen.“
Der Einsatz der Beobachtungsmethode gliedert sich somit in 3 Teilaufgaben:
• die Aufnahme des Baugrundverhaltens während der Bauausführung (messtechnische Kontrolle),
• den Vergleich der so aufgenommenen Baugrundreaktion mit den erwarteten Größen (Prognose) sowie
• bei drohender Gefahr dem Einleiten einer Reaktion zur Gefahrenabwehr (Maßnahmen).
Die Norm schließt dabei ausdrücklich den Einsatz zur Optimierung der Bemessung mit ein.
Alle 3 Teilaufgaben erfordern eine intensive Vorplanung und die Zusammenarbeit der verschiedenen an der Bauaufgabe Beteiligten. Das eingesetzte Messprogramm muss sowohl die für eine Abweichung der der Planung zugrunde liegenden Baugrundparameter sensitiven Größen umfassen als auch die für die Schädigung des Bauwerkes und seiner Umgebung kritischen Größen einschließen. Für die Überwachung und Interpretation der dabei aufgenommenen Messdaten bedarf es zunächst einer Prognose des erwarteten Baugrundverhaltens. Entsprechend dieser Prognose sind Messwertbereiche festzulegen, in deren Grenzen von einer Gültigkeit der Planungsannahmen ausgegangen werden kann. Diese Grenzen der Gültigkeit der Planungsgrundlagen werden ergänzt durch Alarmwerte, die Indikatoren für kritische Messwertverläufe darstellen. Neben der baubegleitenden Überprüfung der Grenzwerte muss die Möglichkeit einer Planungsadaption sowie des Einleitens von Maßnahmen der Gefahrenabwehr durch das Bauverfahren sichergestellt werden.
4 Verknüpfung messtechnischer Beobachtung und Simulation
Die Einbindung der Prognose der Baugrundreaktionen durch numerische Simulationsmodelle erfolgt für die computergestützte Umsetzung der Beobachtungsmethode in 2 Schritten. Simulationsmodelle können zum Einen genutzt werden um Messbereiche zu ermitteln, in denen die Planungsgrundlagen Gültigkeit besitzen, zum Anderen kann bei Verlassen dieser Messbereiche die Baugrundaufnahme durch Rückrechnung des aufgenommenen Baugrundverhaltens verbessert werden (Bild 3). Mittels numerischer Simulationsmodelle können in der Prognose die Interaktionen zwischen Baugrund und Bauprozess abgebildet und Vorhersagen auch dreidimensional und prozessabhängig getroffen werden. Für eine zuverlässige Prognose bedarf es dreier Voraussetzungen:
1. einer Baugrundaufnahme, die Vertrauensbereiche für die einzelnen Baugrundparameter definiert
2. einer realistischen Abbildung des Baugrundverhaltens
3. der Modellierung des gesamten Bauprozesses inkl. aller Teilschritte sowie seiner Interaktionen mit dem angrenzenden Baugrund.
Unter Erfüllung dieser Voraussetzungen werden nun zur Bestimmung der Messwertbereiche, in denen die Planungsgrundlagen Gültigkeit besitzen, für die in der Baugrundaufnahme definierten Vertrauensintervalle der Baugrundparameter Stützstellen gebildet, für die aus diesen resultierenden Parametersets werden Simulationsläufe durchgeführt und aus der Bandbreite der Ergebnisse die entsprechenden Grenzwerte abgeleitet. Werden die-se Grenzwerte während der Bauausführung verletzt, so muss das Baugrundverhalten neu identifiziert werden. Hierzu wird der zu untersuchende Parameterbereich erweitert und analog zum zuvor beschriebenen Vorgehen Simulationen durchgeführt. Der dem Best-Fit zwischen Messwerten und Simulationsergebnissen entsprechende Parametersatz stellt die verbesserte Baugrundinformation dar.
5 Auswertung mittels Internetplattform
Im Rahmen der im Forschungsprojekt GeoTechControl entwickelten Methodik zur Umsetzung der Beobachtungsmethode in der Baupraxis werden die entwickelten Werkzeuge den Nutzern über eine Internetplattform zur Verfügung gestellt (Bild 4). Dies ermöglicht eine zentrale Verarbeitung und Bereitstellung aller Daten und somit einen konsistenten und gleichzeitigen Informationsfluss zu den Beteiligten. Des Weiteren werden hierdurch Informationen und Werkzeuge rechnerunabhängig abrufbar und eine barrierefreie Einbindung entfernter Rechen- und Datenbankressourcen ermöglicht. Über die Internetplattform wird der Nutzer bei der Analyse der aufgenommenen Messdaten unterstützt: Visualisierungstools ermöglichen die übersichtliche Darstellung und Auswertung der vorhandenen Messdaten; durch die automatisierte Überprüfung und Alarmierung auf die definierten Grenz- und Alarmwerte können kritische Messwertverläufe frühzeitig erkannt werden.
6 Fazit
Durch die vorgestellte Methodik der Verknüpfung numerischer Simulation zur Prognose des Baugrundverhaltens und dessen messtechnischer Beobachtung wird eine strukturierte, computergestützte Umsetzung der Beobachtungsmethode in der Baupraxis angestrebt. Hierbei werden computergestützte Verfahren zur Auswertung und Interpretation der aufgenommenen Messdaten eingebunden. Die Ergebnisse der messtechnischen Beobachtung werden durch den Vergleich mit prognostizierten Bodenreaktionen hinsichtlich der Gültigkeit der Planungsannahmen interpretierbar. Durch die Möglichkeit der Systemidentifikation durch Rückrechnung der aufgenommenen Messdaten können die über den Baugrund verfügbaren Informationen während des Baufortschrittes stetig verbessert werden. Die automatisierte Auswertung und Visualisierung der Messdaten ermöglicht es kritische Messwertverläufe frühzeitig zu erkennen. Durch die Definition geeigneter Grenzwerte im Vorfeld der Baumaßnahme unter Einsatz etablierter numerischer Modelle wird eine objektivier- und abstimmbare Umsetzung der Beobachtungsmethode erreicht. Im Rahmen eines strukturierten Entwurfsprozesses werden mögliche Abweichungsszenarien spezifiziert und Havarierisiken identifiziert. Für die Abweichungsszenarien sowie die Havarierisiken werden im Vorfeld der Baumaßnahme mögliche Planungsadaptionen und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr festgelegt und vorgehalten.
Die konsequente Umsetzung der Beobachtungsmethode durch die Anwendung der vorgestellten Prozesse und Systeme die zurzeit im Forschungsprojekt GeoTechControl entwickelt werden kann zum Einen die Wirtschaftlichkeit der Baumaßnahme bei gleichbleibendem Sicherheitsniveau erhöhen, zum Anderen kann die Sicherheit gegen residuale Risiken durch das frühzeitige Erkennen kritischer Messwertverläufe verbessert werden. Durch die Herbeiführung objektivier- und abstimmbarer Entscheidungen im Rahmen des strukturierten Entwurfsprozesses wird ein transparenter Umgang mit den Risiken der betrachteten Baumaßnahme angestrebt.
Der Autor dankt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die finanzielle Förderung dieser Arbeit im Rahmen des Forschungsprojektes KMU-innovativ – Verbundprojekt GeoTechControl - Serviceportal für Überwachung und Prognose Geotechnischer Ingenieurbauwerke (01IS10018B). Neben der ZERNA INGENIEURE GmbH gehören dem Konsortium von GeoTechControl ELE beratende Ingenieure, die TU Dresden sowie FIDES DV-Partner an.
Literatur / References
[1] Chmelina, K. und K. Rabensteiner (2010): Verbesserung der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Tunnelvortrieben durch den Einsatz automatisierter Mess- und Alarmsysteme – Ausführungsbeispiele. Geomechanik und Tunnelbau, 3(2):215-224
[2] COI (2005): Final Report of the Committee of Inquiry into the Incident of the MRT Circle Line Worksite that Led to the Collapse of Nicoll Highway on 20 April 2004. Presented by Committee of Inquiry to Minister for Manpower on 10 May, Singapore.
[3] Gudehus, G. (2004): Prognosen bei Beobachtungsmethoden. Bautechnik, 81(1):1-8
[4] Maidl, U. (2008): Systemverhalten und Prozessoptimierung beim Erddruckschild. Geomechanik und Tunnelbau, 1(3):229-235
[5] Moritz B. und W. Schubert (2009): Die Umsetzung der Beobachtungsmethode im Rahmen des Geotechnischen Sicherheitsmanagements. Geomechanik und Tunnelbau 2(3):269-281
[6] Nagel F., J. Stascheit, und G. Meschke (2010): Prozessorientierte numerische Simulation schildgestützter Tunnelvortriebe in Lockerböden. Geomechanik und Tunnelbau, 3(3):268-282
[7] Wannick, P. (2007): „Tunnel Code of Practice“ als Grundlage für die Versicherung von Tunnelprojekten. Tunnel (8):23-28