Steuerung von Sicherungsmaßnahmen im innerstädtischen Tunnelbau
Die Verbesserung der innerstädtischen Infrastruktur, insbesondere der Bau leistungsfähiger und attraktiver Verbindungen für den öffentlichen Personenverkehr, lässt sich bei einem akzeptabeln Flächenbedarf häufig nur mit Tunnelbauwerken realisieren. Rechnerische Prognosen über die Quantität der beim Bau zu erwartenden Effekte stoßen dabei an ihre Grenzen. Wie intelligente und adaptive Sicherungs- und Kompensationsmaßnahmen nach dem Prinzip der Beobachtungsmethode dabei helfen, zeigt der folgende Beitrag.
Im Einflussbereich von Tunnelbauwerken liegen regelmäßig sensible Bauwerke, die gegenüber unverträglichen Einwirkungen entsprechend gesichert werden müssen. Die Wechselwirkungen zwischen bestehendem Bauwerk, bautechnischem Eingriff, Baugrund und Grundwasser sind dabei äußerst komplex, sodass rechnerische Prognosen über die Quantität der erwarteten Effekte an Ihre Grenzen stoßen. Umso wichtiger sind dabei intelligente und adaptive Sicherungs- bzw. Kompensationsmaßnahmen nach den Prinzipien der Beobachtungsmethode. Zu unterscheiden sind dabei prozessintegrierte und autonome Sicherungsmaßnahmen.
Autonome Sicherungsmaßnahmen erlauben die Kompen-sation von erwarteten oder bereits aufgetretenen Einwirkungen. Prozessintegrierte Sicherungsmaßnahmen verhindern, dass unverträgliche Einwirkungen für die betroffenen Bauwerke im Zuge des Tunnelvortriebs überhaupt entstehen. Beide Herangehensweisen schließen sich dabei nicht aus, sondern ergänzen sich und müssen ggf. sogar parallel angewendet werden
Prozessintegrierte Sicherungsmaßnahmen
Prozessintegrierte Sicherungsmaßnahmen sollen das Entstehen unverträglicher Einwirkungen auf Bauwerke und Bauteile verhindern. Dies erfordert, dass sie bereits in den Prozess des Tunnelvortriebs bzw. seiner Steuerung als integraler Bestandteil eines Regelkreises eingebunden werden. Voraussetzung ist, dass es gut zu kontrollierende Regelgrößen gibt, über die Einfluss auf die Einwirkungen (z. B. Setzungen, Setzungsdifferenzen, Verkip-pungen, Wasserstände, Erddrücke, Zwangsspannungen) für Bauwerke und Bauteile genommen werden kann (Bild 1).
Bei einem maschinellen Tunnelvortrieb stehen als Regelgrößen z. B. zur Verfügung:
■ Vortriebsgeschwindigkeit der TBM
■ Stützdruck an der Ortsbrust
■ Verpressdruck im Ringspalt der Tübbinge
■ Verpressmenge im Ringspalt der Tübbinge.
Die Steuerung dieser Regelgrößen muss in Abhängigkeit von Messgrößen erfolgen, die im Sinne einer kontinuierlichen Prozessteuerung von einem Echtzeit-Messsystem erfasst und in anschaulicher Form ausgewertet und visualisiert werden müssen. Diese Echtzeit-Messsysteme lassen sich heute als Mehrstellen-Messsysteme realisieren, die mit einer fast beliebigen Anzahl von Sensoren unterschiedlicher Bauart permanent viele verschiedene Messgrößen erfassen können (Bild 2):
■ Schlauchwaagenmesssysteme (Setzungen)
■ Neigungssensoren (Verkippungen)
■ Wegaufnehmer (Rissweiten)
■ Dehnungsaufnehmer (Bauteilspannungen)
■ Kraftmessdosen und Druckkissen (z. B. Ankerkräfte)
■ Messanker (Spannungsver-lauf im Baugrund)
■ Porenwasserdruckgeber bzw. Wasserstandsgeber
■ Totalspannungsgeber (Erddruck)
■ Extensometer (Stauchung und Dehnung im Baugrund)
■ Horizontal- und Vertikalin-klinometer (Transversalverformungen).
Für eine ingenieurmäßige Interpretation der Wechselwirkungen müssen Mess- und Regelgrößen, schon aufgrund der anfallenden großen Datenmengen, mit einem geeigneten Software-System gemeinsam gespeichert, ausgewertet und visualisiert werden. Dafür steht für maschinelle Tunnelvortriebe z.B. das System ATDS® (Advanced Tunnel Drive Steering) [10, 12] zur Verfügung. Es ist eine Datenbankanwendung, die von der GeTec Ingenieurgesellschaft mbH in Zusammenarbeit mit der Hochtief Construction AG entwickelt worden ist.
Das System setzt über eine offene Schnittstelle auf einer Datenbank auf (es können unterschiedliche Datenbanksysteme verwendet werden), in der sowohl Messwerte des Echtzeit-Messsystems (z.B. Schlauchwaage [4, 6]), Messwerte aus geodätischen Systemen (Totalstation, Nivelliergerät) als auch die wesentlichen Vortriebsparameter gespeichert werden. Alle gespeicherten Werte werden kontinuierlich ausgewertet und in verschiedenen Ansichten und Prozessbildern dargestellt. Das Spektrum reicht von der kompletten Übersicht des Vortriebs über die Ansicht des aktuellen Ausschnitts für den Schildfahrer (Bild 3) bis hin zu Detailansichten und Zeit-Gang-Linien für einzelne Messwerte. Dazu können Karten, Bilder und Pläne hinterlegt werden, die die Orientierung im Projekt und die Zuordnung von Mess- und Regelgrößen zu Sensoren oder betroffenen Bauwerken erleichtern. Zur Visualisierung wird ein eigenständiger 3-D-CAD-Kern verwendet. Dieser CAD-Kern erlaubt den Aufbau eines 3-D-Untergrundmodells für das gesamte Projekt, in der die neben der Geometrie auch die geologischen und hydrologischen Gegebenheiten berücksichtigt werden können.
Durch den Aufbau als Client-Server-System kann gleichzeitig von mehreren Anwendern auf die Daten zugegriffen werden. Die Vergabe von unterschiedlichen Zugriffsrechten ist möglich. Darauf aufbauend lassen sich unterschiedliche Ansichten und formatierte Berichte definieren. Bauleitung, Bauherr, Tunnelleitstand und andere Beteiligte erhalten ihre indivi-duell konfigurierte Sicht mit den für sie relevanten Daten und Informationen.
Bei der Beurteilung der Gesamtsituation ist ein mehrstufiger Abgleich aller Mess- und Regelgrößen mit vorher festgelegten Grenzwerten in Form einer Ampelsteuerung oder von Diagrammen möglich. Auf diese festgelegten Grenzwerte greift auch das Alarmsystem zu, dass bei Überschreitungen automatisch Meldungen per SMS und/oder E-Mail an eine frei konfigurierbare Alarmkette absetzt. Durch dieses automatische Alarmsystem wird die Betriebssicherheit des Gesamtsystems entscheidend erhöht. Gleichzeitig werden auch die Betriebszustände des Messsystems überwacht und in die Alarmierung mit einbezogen.
Autonome Sicherungsmaßnahmen
Fehlen in der gewählten Vortriebstechnik geeignete Regelgrößen, sind diese nicht in ausreichendem Maße kontrollierbar oder ist deren Effekt nicht ausreichend, dann genügen prozessintegrierte Sicherungsmaßnahmen unter Umständen nicht mehr. Um unverträgliche Einwirkungen auf Bauwerke im Einflussbereich des Vortriebs zu verhindern müssen dann mit einer vom Vortrieb unabhängigen baulichen Maßnahme eigene Regelgrößen geschaffen werden. Über diese wird dann baulich getrennt vom Vortrieb Einfluss auf die Einwirkungen für die Bauwerke ausgeübt (Bild 4).
Eine seit den 1980er-Jahren gebräuchliche Technik für eine autonome Sicherungsmaßnahme ist die Hebungsinjektion (auch Compensation Grouting, Soilfrac® [3, 5]). Bei der Hebungsinjektion wird im Einzelschritt über einen Fächer von Manschettenrohren örtlich gezielt eine meist vorab definierte Menge von hydraulisch erhärtender Suspension unter Druck in den Boden eingebracht. Dabei entstehen künstliche Klüfte oder Risse (Fracs), die bereits während ihrer Entstehung mit Injektionsgut gefüllt werden.
Die systematische und mehrfache Beaufschlagung von Bodenbereichen mit Injektionsgut führt in der ersten Behandlungsphase zum Kraftschluss mit dem zu sichernden Bauwerk (Kontaktinjektion, oft auch als Phase 1 bezeichnet). Durch die Verdichtungswirkung auf den zwischen den erhärtenden Feststofflamellen eingespannten Boden und durch den erhärteten Feststoff selbst wird eine Verbesserung der bodenmechanischen Eigenschaften (Festigkeit, Steifigkeit und Konsistenz) erreicht. Bei Fortsetzung der Behandlung kommt es nach weiterem Spannungsanstieg im Boden schließlich zu sehr genau und lokal differenziert steuerbaren Hebungen, mit denen dann eine erwartete oder bereits aufgetretene Einwirkung in Form von Setzungen kompensiert werden kann. Die Regelgrößen bei der Hebungs-injektion zur Erzielung von Hebungen sind:
■ Injektionsmenge
■ Injektionsdruck.
Diese müssen für eine qualifizierte Ausführung wie bei der prozessintegrierten Sicherung mit unterschiedlichen Daten abgeglichen werden:
■ Messdaten aus einem Echtzeit-Messsystem (es sind grundsätzlich die gleichen Messsysteme wie bei der prozessintegrierten Sicherung einsetzbar)
■ Vortriebsstation
■ Daten der Bohrlochvermessung bei der Herstellung der Injektionsbohrungen
■ Grundwasserdaten.
Auch dabei fallen große Datenmengen an und es bedarf einer softwaregestützten ingenieurmäßigen Aufbereitung in Form von aussagekräftigen Visualisierungen und Berichten. Dafür hat die GeTec Ingenieurgesellschaft mbH ebenfalls die Datenbankanwendung GroutControl® [2, 8] entwickelt. Auf Grund aktueller Entwicklungen und Ereignisse wurde das Sys-tem erweitert, um auch Daten über die hydrologischen Gege-benheiten eines Projektes zu integrieren. Es lassen sich nun auch Wasserstände aus Grundwassermessstellen in Echtzeit erfassen und über eine Schnittstelle zur Nachrechung an FEM-Programme übermitteln. Bei vorhandener Sensorik für Durchflussmessungen in der Wasserhaltung ist außerdem ein so genanntes Echtzeit-Was-serbuch verfügbar.
Das System setzt über eine offene Schnittstelle auf eine der am Markt verfügbaren SQL-Datenbanksysteme auf, speichert dort alle zuvor beschriebenen Mess- und Regelgrößen und baut einen permanenten Regelkreis auf (Bild 5). Vorläufer wurden bereits 1993 erstmalig eingesetzt [1]. Seit damals wird das Konzept stetig weiterentwickelt. Es verfügt heute über ein Client-Server-Datenbank-Konzept. Die Benutzer kommunizieren mit der Datenbank über ein CAD-orientiertes Interface. Es kann als Einzelplatzlösung oder im Netz-werk als Mehrplatzlösungen eingesetzt werden und ist damit entsprechend der Größe und Komplexität des Projektes frei skalierbar. Die mögliche Daten-menge wird dabei nur noch von der verwendeten Hardware im Hinblick auf Speicherplatz, Prozessorleistung und Netz-werkkapazitäten limitiert [3, 4, 7, 11].
Der Anwender stellt für die Analyse und Visualisierung der Daten über eine einfach zu bedienende Abfragemaske eine Datenabfrage an das System und bekommt die Ergebnisse unmittelbar in der von ihm gewünschten Form als Tabelle, formatierter Bericht oder graphische Visualisierung auf-
bereitet zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus bietet die Software auch noch die Möglichkeit, programmgestützt Arbeitsanweisungen (in Pa-pierform oder elektronisch als Eingabedatei für die Steuerung des Injektionscontainers) zu erstellen. Auf Basis der bereits erzielten Injektionserfolge, ausgedrückt in Kennwerten wie z. B. einer Effektivität (Injektionsmenge pro m² je Hebungsbetrag in mm) lassen sich dazu die für das Erreichen eines bestimmten Hebungszieles notwendigen Injektionsmengen berechnen.
Das System „lernt“ mit dem Ingenieur während des Pro-jektes von Arbeitschritt zu Arbeitsschritt mit wachsender Datenbasis immer präziser, wie der Baugrund und das zu sichernde Bauwerk auf das Einbringen des Injektionsgutes reagiert. Diese Erkenntnisse sind nicht nur innerhalb des Projektes hilfreich, sondern erlauben auch ein tieferes Verständnis über die Funk-
tionsweise des geotechnischen Verfahrens.
Zusammenfassung
Für die Sicherungs- und Kompensationsmaßnahmen im Umfeld innerstädtischer Tunnel-vortriebe stehen heute leistungsfähige Expertensysteme zur Verfügung. Diese Systeme erlauben durch eine systematische gemeinsame Speicherung, Auswertung und ingenieurmäßige Darstellung von Messwer-ten und Regelgrößen eine präzise Analyse und Prognose der Einwirkungen auf Bauwerke im Einflussbereich des Vortriebs in Echtzeit.
Durch die Echtzeit-Analyse wird ein Maß und eine Präzision der Steuerung erreicht, dass die Qualität, Wirtschaftlichkeit und Verlässlichkeit prozessintegrierter und autonomer Sicherungssysteme gleichermaßen auf eine neue Stufe hebt, die bisher nur der Produktion und Fertigung in stationären Betrieben anderer Industriezweige vorbehalten war. Das Sicherheitsniveau eines Tunnelvortriebs und der damit verbundenen Nebenbauwerke wie z. B. Baugruben lässt sich durch die Anwendung dieser intelligenten und adaptiven Steuerungsmechanismen signifikant erhöhen.