Maschinen- und verfahrenstechnische Charakterisierung des Gebirges unter dem Einfluss des Interaktionsverhaltens Maschine – Baugrund

Der vorliegende Beitrag stellt ein Modell zur Beschreibung des Baugrundes bei Vortrieben mittels Tunnelvortriebsmaschinen (TVM) unter Berücksichtigung von verfahrens- und maschinentechnischen Kriterien vor. Durch Simulation der einzelnen Teilprozesse eines TVM-Vortriebes und der daraus resultierenden Beanspruchungen auf das gelöste Gestein, sollen Indizien für die Beurteilung des Veränderungspotenzials und der Eigenschaften des veränderten Gesteins gewonnen werden. Weiter soll eine Abschätzung von Auswirkungen der Veränderungsprozesse auf den Vortrieb ermöglicht werden.

1 Einleitung

Bei Vortrieben mittels TVM unterliegt das Ausbruchmaterial unter dem Abbauprozess durch das Schneidrad bis hin zum Abwurf am Portal zahlreichen Veränderungsprozessen, welche sich mitunter erheblich auf die Vortriebsleistung der TVM, sowie auf nachgeschaltete Arbeitsschritte, wie z.B. den Transport und die weitere Verwendung des Ausbruchmaterials (Wiedereinbau/Deponierung) auswirken können. Dabei geht es im Wesentlichen um die Parameter Klebrigkeit, Abrasivität und innere Reibung sowie Verbreibarkeit des gelösten Gesteins.

Die Auswirkungen dieser Veränderungsprozesse sind einerseits von den Eigenschaften (v.a. Gesteinseigenschaften und Bergwasserverhältnisse) des anstehenden Gebirges und andererseits von der eingesetzten Verfahrenstechnik und der Betriebsweise abhängig und lassen sich im Planungsstadium meist nur schwer und eingeschränkt abschätzen.

Insbesondere bei EPB-Schildvortrieben (SM-V5) wird im geschlossenen Modus bewusst die Verbreiung des gelösten Gesteins, meist unter Zugabe von Wasser und anderen Konditionierungsmitteln wie z.B. Schäumen und Bentonitsuspensionen, in der Abbaukammer angestrebt und damit eine wesentliche Änderung der Eigenschaften bewirkt.

Bei den Gesteinen zeigen vor allem Ton-, Schluff- und Mergelsteine ein hohes Veränderungspotenzial, welches u.a. mit „Wasserlagerungsversuchen“ festgestellt werden soll.

Für die Abschätzung der verfahrensabhängigen Veränderungsprozesse des gelösten Gesteins, sowie deren Auswirkungen auf die einzelnen Arbeitsschritte der TVM ist die normative Klassifizierung des Gebirges nur bedingt ausreichend, da der wesentliche Einfluss von Bauart (u.a. Verfahrenstechnik, Schneidradausbildung) und Betriebsweise (z.B. Steuerung, Einsatz von Konditionierungsmitteln) der TVM, in Baugrundansprachen im Normalfall noch nicht berücksichtigt werden kann.

2 Verfahrenstechnisch relevante Wechselwirkungsmechanismen Maschine – Baugrund

Die bedeutenden Wechselwirkungsmechanismen zwischen Baugrund und TVM sind Verschleiß, Verkleben und Verbreibarkeit. Diese sind von vielen Einflüssen und Parametern abhängig, die sich nicht in ihrer Gesamtheit fassen und zuordnen lassen.

2.1 Verschleiß

Als Verschleiß werden oberflächliche Abnutzungen (Materialverlust) von Maschinenteilen der TVM infolge von Beanspruchungen beim Abbau, bei der Zerkleinerung und beim Transport des Gesteins bezeichnet. Seitens der Gesteinseigenschaften wirken sich vor allem die Härte und Festigkeit des Gesteins, sowie bei Lockergestein mitunter auch die Kornverteilung, die Kornform (Kantigkeit) und Rauhigkeit der Kornoberfläche auf den Verschleiß aus.

2.2 Verbreiung – Veränderungspotenzial

Als Verbreiung wird die gezielte Veränderung des gelösten Gebirges in der Abbaukammer bezeichnet, um beim EPB-Schildvortrieb im geschlossenen Modus einen plastischen Erdbrei als Stützmedium für die Ortsbrust zu erzeugen. Die Erzeugung eines Erdbreis mit den geforderten Eigenschaften steht in direktem Zusammenhang mit dem Veränderungspotenzial des Baugrundes, der durch Wasser- und Konditionierungsmittelzugabe beeinflusst werden kann.

Die Membraneigenschaften werden durch den Anteil des Feinkorns in der Sieblinie bestimmt, der wesentlich vom mechanischen Eingriff der TVM beim Lösen (Schneidrad), Mischen und Fördern (Abbaukammer) hinsichtlich Intensität und Dauer abhängig ist.


2.3 Verkleben

Als Verkleben wird die starke Adhäsion von Ausbruchmaterial an Maschinenteilen oder durch Kohäsion bedingte Klumpenbildungen bezeichnet, welche z.B. ein Zusetzen von Einlassöffnungen im Schneidrad und von Förderkanälen verursachen kann. Verklebungen sind in bindigem Lockergestein und in veränderlich festen Gesteinen zu erwarten.

Ein hoher Feinkorngehalt führt in der Regel zu Verklebungen am Schneidrad und in der Abbaukammer, welche wiederum verminderte Vortriebsleistungen („Tonscheibe“), sowie damit einhergehend einen erhöhten (Sekundär-) Verschleiß und außerplanmäßige Stillstände für erhöhten Reinigungsaufwand nach sich ziehen. Durch diese Mechanismen bedingte Vortriebserschwernisse lassen sich bis dato aufgrund fehlender normativer Regelungen in der Planung lediglich allgemeingültig bzw. pauschal abschätzen.

2.4 Veränderlich feste Gesteine

Einen besonderen Stellenwert bei der Betrachtung der Auswirkungen von Wechselwirkungsmechanismen stellen die veränderlich festen Gesteine wie z.B. Ton-, Schluff- und Mergelsteine dar, da diese ein hohes Veränderungspotenzial aufweisen. Das Veränderungspotenzial hängt von einer Vielzahl von Parametern ab, wie z.B. der Druckfestigkeit, dem Porenvolumen, der Quellfähigkeit, der Kornverteilung und der Kornbindung. Aufgrund einer sehr geringen bzw. fehlenden mineralischen Bindung neigen diese Gesteine infolge mechanischer Beanspruchungen und/oder bei Wasserkontakt zur Auflösung des Gefügeverbandes. Die ursprünglich nach felsmechanischen Eigenschaften beprobten und beurteilten Festgesteine zerfallen in ihre Ursprungskörnungen oder zumindest teilweise in klebrige Agglomerate, die als Lockergestein bodenmechanisch zu beurteilen sind.

Ein in der Planung als Festgestein angesprochener und beprobter Tonstein kann durch verfahrenstechnisch bedingte Prozesse, zu einem weichen, klebrigen, ausgeprägt plastischen Ton verändert werden. In der Bauausführung kommt es zu den erwähnten Vortriebserschwernissen. Die Veränderungsprozesse sind bekannt; allein eine genaue qualitative Bewertung der Folgen für den Vortrieb aufgrund der Vielzahl an Einflussfaktoren ist bislang nur schwer möglich.

Die gängigen Normenwerke zur Charakterisierung des Festgesteins sehen zwar eine grobe Einteilung der Gesteine in Veränderlichkeitsklassen vor, die Eigenschaften des veränderten Gesteins werden jedoch nicht behandelt. Für den Einsatz von Erddruck- und Hydroschilden bei veränderlich festen Gesteinen ist eine weiterführende Charakterisierung des Baugrundes unter Berücksichtigung von maschinen- und verfahrenstechnischen Aspekten anzustreben.


3 Labortechnische Untersuchungen zur Charakterisierung des Baugrundes

Die EN-Normen unterscheiden für die Charakterisierung des Baugrundes zwischen Festgestein (EN ISO 14689-1) und Lockergestein (EN ISO 14688-1 und EN ISO 14688-2). In Abhängigkeit der Gesteinsart werden unterschiedliche geotechnische Laborversuche durchgeführt. Dies ist zum einen dadurch bedingt, dass je nach Gebirgsart unterschiedliche „Schlüsselparameter“ zur Beschreibung der Gebirgscharakteristika von Interesse sind, zum anderen, dass bestimmte Versuche nur bei entsprechenden Probekörpern durchgeführt werden können. Ein weiterer Faktor für die Festlegung der geotechnischen Laborversuche stellt das Erkundungsziel in Abhängigkeit vom geplanten Eingriff dar.

Für Leistungs- und Verschleißprognosen bei TVM-Vortrieben sind vor allem die folgenden Gesteinseigenschaften von Interesse:

Gesteinsfestigkeit

Gesteinsabrasivität

Veränderlichkeit / Veränderungspotenzial

Klebrigkeit.

3.1 Gesteinsfestigkeit

Die Gesteinsfestigkeit wird mit einaxialen Druckversuchen bestimmt. Ergänzend werden projektabhängig auch Spaltzugversuche, Punktlastversuche und Triaxiale Druckversuche durchgeführt. Bei feinkörnigen Lockergesteinen ist zudem zu beachten, dass die Festigkeit stark von der Konsistenz abhängt und sich mit dem Wassergehalt ändert.

3.2 Gesteinsabrasivität

Die Gesteinsabrasivität als Maß zur Abschätzung des Verschleißes wird bei Festgesteinen meist mit dem Cerchar-Abrasivitäts-Versuch, bei Lockergesteinen mit dem LCPC-Versuch bestimmt [4]. Die Bestimmung des äquivalenten Quarzgehaltes kann als weiteres Maß zur Abschätzung des Verschleißes herangezogen werden.

3.3 Veränderlichkeit/Veränderungspotenzial

Zur Beurteilung der Veränderlichkeit des Gesteins sehen die Europäische Norm EN ISO 14689-1, als auch darauf aufbauende nationale Regelwerke (z.B. DIN EN ISO 14689-1, ÖNORM B4400-2), Wasserlagerungsversuche vor.

M. Nickmann führt schon 2005 in der Veröffentlichung „Untersuchungen zur Klassifizierung veränderlich fester Gesteine unter ingenieurgeologischen Aspekten“ [1] Probleme bei der Durchführung und Auswertung der Wasserlagerungsversuche an und kommt zur Schlussfolgerung: „Insgesamt zeigt sich, dass der Wasserlagerungsversuch nicht geeignet ist, das Verhalten veränderlich fester Gesteine ausreichend zu erfassen und zu klassifizieren.“ Bei Siebtrommelversuchen und Slake durability tests werden der technisch relativ hohe Aufwand und v.a. die Versuchsdurchführung mit getrocknetem Material, welches nicht den „in situ“ Bedingungen entspricht, negativ angemerkt. Die in der o.a. Veröffentlichung vorgestellte Modifizierung des Wasserlagerungsversuchs, auf Basis eines dreifachen Trocknungs-Befeuchtungswechsels, stellt eine deutliche Verbesserung für die Klassifizierung von veränderlich festen Gesteinen dar. Die Beanspruchung durch die 3 Wechsel reicht aber meist nicht aus um die Beanspruchungen, welche bei einem TVM-Vortrieb durch Abbau-, Zerlegungs- und Konditionierungsprozesse auf das Gestein wirken, abdecken zu können.

3.4 Klebrigkeit

Die Klebrigkeit wird in den Normen nicht explizit behandelt. Teilweise finden sich in Werkvertragsnormen Ansätze zu dieser Thematik, über visuelle Beurteilungen und pauschale Aussagen gehen diese jedoch nicht hinaus. In der ÖNORM B2205 „Erdarbeiten – Werkvertragsnorm“ findet sich zur Klebrigkeit z.B. folgender Hinweis: „Klebrige Beschaffenheit ist dann gegeben, wenn sich der auf der Wurfschaufel oder auf dem Spaten befindliche Boden vom Gerät nur mit Hilfe eines weiteren Gerätes (Spachtel oder dergleichen) ablösen lässt.“

In der praktischen Anwendung wird zur Beurteilung des Verklebungspotenzials von Böden vielfach das Bewertungsdiagramm nach Thewes (1999) [2] verwendet. Mit den Eingangsgrößen (Konsistenzzahl Ic und Plastizitätszahl Ip) kann dem untersuchten Boden ein niedriges bis hohes Verklebungspotenzial zugeordnet werden (Bild 1).

Die Plastizitäts- und Konsistenzzahl lassen sich mit Hilfe des natürlichen Wassergehalts und der Zustandsgrenzen nach Atterberg (Ausrollgrenze und Fließgrenze) bestimmen. Die Bestimmung der Ausroll- und Fließgrenzen ist nur bei bindigen Lockergesteinen möglich. Eine direkte Beurteilung des Verklebungspotenzials von veränderlich festen Gesteinen an Kernproben ist somit nicht möglich. Als Voraussetzung muss der mit Festgesteinseigenschaften vorliegende Bohrkern aufbereitet und in seine sedimentäre Ursprungskörnung zurückgeführt werden. An den aufbereiteten Proben lassen sich die genormten bodenmechanischen Laborversuche zur Bestimmung der Kornverteilungskurven, sowie die Bestimmung des natürlichen Wassergehalts und der Zustandsgrenzen nach Atterberg durchführen.

Auch mit Hilfe des Verklebungsdiagramms nach Thewes lassen sich für TVM-Vortriebe nur grobe Abschätzungen zum Verklebungspotenzial des Baugrundes tätigen, da zum Einen die Kornverteilung des zerlegten Probenmaterials je nach Zerlegungsintensität streuen kann. Zum Anderen für den Wassergehalt, als wesentlicher Parameter zur Ermittlung der Konsistenzzahl, nur ein möglichst repräsentativer Wert angesetzt werden kann. Beim Einsatz von Schildmaschinen wird der natürliche Wassergehalt des „in situ“ Gesteins durch Bergwasserzutritte (besonders auch bei Stillständen der TVM), die Zugabe von Konditionierungsmitteln und Prozesswässern verändert und lässt sich nicht prognostizieren. Die Betriebsweise der TVM und der Anteil an quellfähigen Tonmineralien sind weitere Faktoren, die sich auf die Klebrigkeit des gelösten Materials auswirken.

4 Strategiemodell zur maschinen- und verfahrenstechnischen Charakterisierung des Baugrundes vom Abbau bis zum Abwurf am Portal

4.1 Allgemeines

Wie bereits angeführt, betrachten die normativen Regelungen zur Beschreibung des Baugrundes das Gebirge im „in situ“ Zustand, unabhängig vom geplanten TVM-Eingriff. Die Ermittlung von Veränderungen der Gesteinseigenschaften durch Beanspruchungen während der einzelnen Arbeitsschritte einer TVM ist nicht geregelt und diese können bis dato nur grob angeschätzt werden. Dieser Umstand macht sich besonders bei den veränderlich festen Gesteinen bemerkbar. Für eine bessere Abschätzung möglicher Auswirkungen wird das folgende Strategiemodell vorgestellt.

4.2 Grundlage des Strategiemodells

Die tatsächlich beim Vortrieb herrschenden Verhältnisse können versuchstechnisch nicht exakt abgebildet werden. Das gegenständliche Modell ist ein Versuch, zusätzliche Informationen zur projektspezifischen Abschätzung der Auswirkungen des veränderten Ausbruchmaterials zu liefern.

Durch eine schrittweise Vorgehensweise werden Gebirgsarten, Betriebsweisen (v.a. Vortriebsmodi) und Prozesse im Ablauf der TVM extrahiert, bei welchen deutliche Veränderungen des Ausbruchmaterials stattfinden. In weiterer Folge werden Untersuchungen an Gesteinsproben, in jeweils unterschiedlichen Zustandsformen durchgeführt. Frei definierte Probenvorbehandlungen erlauben, unter Einbeziehung von normierten Laboruntersuchungen, die Auswirkungen der verfahrenstechnisch herbeigeführten Zustandsänderungen des Gesteins zu beschreiben und liefern zusätzliche Informationen zur Abschätzung der Eigenschaften des Ausbruchmaterials in den jeweiligen Teilprozessen der TVM.

4.3 Aufbau des Strategie­modells

Auf Basis der geologischen, hydrogeologischen und geotechnischen Baugrundmodelle sind die für die Untersuchung relevanten Gebirgsarten auszuwählen sowie die entsprechend prognostizierten Bergwasserzutritte zugrunde zu legen.

Projektspezifisch ist ein Untersuchungsumfang festzulegen, welcher von der Betrachtung einzelner relevanter Teilprozesse (z.B. geschlossener Modus einer EPB-Schildmaschine) eines Bereichs für eine bestimmte Gebirgsart bis hin zu zahlreichen Kombinationen von Gebirgsarten und Teilprozessen reichen kann. Bei einer entsprechenden Datenmenge sind Sensitivitätsanalysen betreffend der Veränderungsprozesse in Abhängigkeit von Zeit, Gebirgsart, mechanischen Beanspruchungen, der zugegebenen Wassermenge, der Art und Menge von Konditionierungsmitteln und weiterer Parameter möglich.

Für jeden Teilprozess sind folgende Schritte durchzuführen:

1) Abschätzung der möglichen Beanspruchungen und Randbedingungen für den festgelegten Bereich und Teilprozess.

2) Vorbehandlung (Zerkleinerung, Wasser- und Konditionierungsmittelzugabe, Durchmischung) des Probenmaterials mit möglichst einfachen Mitteln zur Simulation der Beanspruchungen und Randbedingungen.

3) Für den jeweiligen Bereich der TVM sind die verfahrenstechnisch maßgeblichen Eigenschaften des Ausbruchmaterials wie z.B. Konsistenz, sowie die entsprechenden Parameter (z.B. Wassergehalt), zu erheben.

4) Durchführung der standardgemäßen Laborversuche wie z.B. einaxialer Druckversuch inklusive der normativen Probenaufbereitung (z.B. zylindrischer Probekörper aus Bohrkern) zur Ermittlung der Parameter des vorbehandelten Probenmaterials.

Die einzelnen Schritte sind so zu gestalten und zu dokumentieren, dass die Vorbehandlung der Proben jederzeit exakt reproduziert werden kann.

4.4 Umsetzung des Strategiemodells am Beispiel eines EPB-Schildvortriebes

Das Strategiemodell wird beispielhaft an einem EPB-Schildvortrieb dargelegt. Die TVM wird gemäß Bild 2 in 6 Bereiche unterteilt.

Nachfolgend wird nur der geschlossene Modus betrachtet, da hier infolge der Verbreiung des gelösten Gesteins unter Bergwasserzutritten und der Zugabe von Konditionierungsmitteln, die maßgeblichsten Beanspruchungen erwartet werden. Die abgegrenzten Teilprozesse A bis F werden in der Folge betrachtet.

Bereich A – „in situ“ Gebirge

Als „in situ“ Gebirge wird jenes Gebirge betrachtet, welches sich außerhalb des Einflussbereiches des Vortriebes befindet. Dies betrifft sowohl Einflüsse aus der Spannungsumlagerung, der Bergwassersituation und der Eindringtiefe von Medien der Ortsbruststützung. Entsprechend endet das „in situ“ Gebirge vielfach bereits vor der Ortsbrust.

Systembedingte Beanspruchungen: keine.

Probenvorbehandlung: Kernproben aus der Tiefenlage des Tunnelquerschnittes bilden das Ausgangsmaterial. Für den Bereich A (Tab. 1) wird keine Vorbehandlung durchgeführt.

Bereich B – Schneidrad

Systembedingte Beanspruchungen: Mit dem Eingriff der TVM in den Baugrund findet ein erster Zerlegungsprozess durch das Schneidrad bzw. durch die eingesetzten Abbauwerkzeuge statt. Der Werkzeugbesatz ist auf die Projektbedingungen abgestimmt und bestimmt maßgeblich den Grad der Zerlegung.

Probenvorbehandlung: Zerlegung der Kernprobe in die Form des erwarteten Ausbruchmaterials, z.B. in Chip-Bruchstücke mit definierter Größe. Auffälligkeiten wie z.B. Bruchverhalten, anfallender Feinkornanteil etc. sind genau zu dokumentieren.

Maßgebliche Materialeigenschaften und Versuchsprogramm sind in Tabelle 2 aufgeführt.

Bereich C – Abbaukammer

Systembedingte Beanspruchungen: Mithilfe von Statoren, Rotoren und der Drehbewegung des Schneidrades findet eine mechanische Zerlegung und Homogenisierung des Abbaumaterials (Erdbreis) statt. Durch Bergwasserzutritte, als auch durch die gesteuerte Zugabe von Konditionierungsmitteln tritt eine weitere Plastifizierung des Abbaumaterials ein.


Probenvorbehandlung: Die aus den Kernproben gewonnenen Chip-Bruchstücke (siehe Probenbehandlung B) bilden das Ausgangsmaterial. Im Verhältnis zur Probenmenge sind Wasserzugaben entsprechend den prognostizierten Bergwasserzutritten und der bewussten Wasserzufuhr im Vortriebsprozess und weiterhin Konditionierungsmittelzugaben anzusetzen. Die Erdbreihomogenisierung und -plastifizierung kann z.B. in einem Zwangsmischer simuliert werden, wobei der Grad der Durchmischung durch Zeitdauer und Umdrehungen/Minute, etc. zu dokumentieren sind.


Bereich D – Förderschnecke

Systembedingte Beanspruchungen: Eine weitergehende mechanische Beanspruchung des abgebauten Materials erfolgt durch die Förderschnecke. Der Erdbrei wird für die notwendige Pfropfenbildung beim geschlossenen Modus zum Aufbau eines Druckniveaus am Verschlussorgan der Schnecke gestaut und kompaktiert; Porenwasser wird teilweise ausgepresst.


Probenvorbehandlung: Das Ausgangsmaterial bildet der Erdbrei (siehe Probenbehandlung C). Das Auspressen des Prozesswassers aus dem Erdbrei kann z.B. mit Hilfe einer Filterpresse unter einem definierten Druckniveau simuliert werden.

Bereich E – Streckenband

Systembedingte Beanspruchungen: Auf dem Streckenband wird keine zusätzliche Beanspruchung erwartet.


Probenvorbehandlung: keine; Probenmaterial entspricht der Probenvorbehandlung D.

Maßgebliche Materialeigenschaften und Versuchsprogramm: siehe Tabelle 3.

Bereich F – Streckenband und Abwurf am Portal

Systembedingte Beanspruchungen: Beim Abwurf am Portal erfolgen noch einmal eine mechanische Beanspruchung sowie eine gewisse Materialsortierung entlang des Schüttkegels. Letztere wird allerdings beim Ladevorgang für die weitere Verwendung des Ausbruchmaterials weitestgehend wieder egalisiert.


Probenvorbehandlung: keine; Probenmaterial entspricht der Probenvorbehandlung D.

Maßgebliche Materialeigenschaften und Versuchsprogramm: siehe Tabelle 3.

Als Hilfestellung zur Abschätzung einer möglichen weiteren Verwendung des Ausbruchmaterials (z.B. Wiedereinbau in Schüttungen) können auf Basis des vorbehandelten Probenmaterials Untersuchungen und Laborversuche wie z.B. Bestimmung des Wassergehalts, Proctorversuche, Scher- und Kompressionsversuche durchgeführt werden. Auch liefern die Versuchsauswertungen Indizien für die Effektivität von etwaigen Stabilisierungsmaßnahmen (z. B. mit Branntkalk) (Bild 3).


5 Erzielbare Ergebnisse

Mit dem beschriebenen Strategiemodell sind nachfolgende Ergebnisse erzielbar und sowohl in der Auswahl und Ausschreibung des Vortriebskonzeptes, bei der Bauausführung und der Materialbewirtschaftung und -verwertung auch umsetzbar:

Identifikation und Minimierung möglicher Baugrund- und Verfahrensrisiken [6]

Klärung der Sphärenzuordnung in der Risikotragung

Herleitung der bestgeeigneten Vortriebsmodi

Spezifizierung und Optimierung des einzusetzenden Vortriebs- und Schuttersystems

Regelung für Erschwernisse und Abrechnung

Optimierung der Materialbewirtschaftung und Materialverwertung im Zusammenwirken mit der Genese während des Abbau- und Förderprozesses

Objektivierung des komplexen Zusammenwirkens zwischen Gebirge, Bergwasser und Vortrieb.

6 Ausblick

Da das gegenständlich beschriebene Strategiemodell teilweise auf Annahmen der Eingangsdaten basiert, sind diese durch Proben aus den einzelnen Teilbereichen/-prozessen der TVM und verfahrenstechnischen Daten (z.B. Zugabemenge von Konditionierungsmitteln) während des Vortriebs zu verifizieren. Durch die beschriebene systematische Vorgangsweise im Strategiemodell sowie die Gegenüberstellung und Analyse der praktischen Erfahrungen wird für zukünftige Projekte eine Grundlage geschaffen, welche eine verbesserte Einschätzung der Auswirkungen des TVM-Vortriebes auf das Ausbruchmaterial ermöglicht und somit einen hilfreichen Beitrag zur Planung von TVM-Vortrieben in veränderlich festen Gesteinen liefern kann.

Literatur

[1] Nickmann, M. Spaun, G.; Thuro, K.: Untersuchungen zur Klassifizierung veränderlich fester Gesteine unter ingenieurgeologischen Aspekten.

Erlangen: 15. Tagung Ingenieurgeologie, 2005.

[2] Thewes, M.: Adhäsion von Tonböden beim Tunnelvortrieb mit Flüssigkeitsschilden. Bauingenieurwesen 21, 1999.

[3] Köppl, F.; Frenzel, C.; Thuro, K.: Statische Modellierung von Gesteinsparameter für die Leistuns- und Verschleißprognose bei TBM Vortrieben,

17. Tagung für Ingenieurgeologie, Zittau 2009.

[4] Thuro, K.; Käsling, H.: Klassifikation der Abrasivität von Boden und Fels, Geomechanics and Tunnelling 2, Berlin 2009, Ernst& Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG.

[5] Handke, D.; Nolden, M.; Mussger, K.; Steidl, A.: Lösungsansätze für Planung und Bauausführung des Bauloses KAT3 des Koralmtunnels. Geomechanics and Tunnelling 2, Berlin 2010, Ernst& Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG.

[6] Handke, D.; Maidl, B.: Bauverfahrenstechnische Prozessabhängigkeiten als Steuerungselemente zur Risikominimierung bei der Realisierung von Schildprojekten – Vorstellung einer Risikostrategie auf der Basis baupraktischer Erfahrungen. Tunnelbautaschenbuch 2006, S. 189-220. Essen: Glückauf, 2005.

MaterialeigenschaftenVersuchsprogrammKonsistenz• Wassergehalt (DIN 18121, ÖNORM B4413)
• Zustandsgrenzen nach Atterberg (siehe Tabelle 2)Abrasivität• Siehe Versuchsergebnisse von Bereich C
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