Maschinenvortrieb bei minimaler Überlagerung

Unterfahrung des Schnecktals durch den Finnetunnel

Mit der Unterfahrung des Schnecktals (Finnetunnel) im Zuge der Neubaustrecke der VDE 8.2 zwischen Erfurt und Halle/Leipzig wurde ein ökologisch sehr sensibles Gebiet berührt. Im folgenden Beitrag wird die Planung und Umsetzung des Maschinenvortriebs bei minimaler Überlagerung ausführlich betrachtet.

1 Einführung

Schildvortriebe ohne aktive Ortsbruststützung stellen bei minimalen Überlagerungen unterhalb des 0,5-fachen Schilddurchmessers trotz hohem Automatisierungs- und Mechanisierungsgrad Grenzbereiche für den maschinellen Tunnelvortrieb dar.

Auf der Neubaustrecke der VDE 8.2 zwischen Erfurt und Halle/Leipzig wurde der aus Sicherheitsgründen zweiröhrig konzipierte Finnetunnel mit zwei Tunnelvortriebsmaschinen (TVM) aufgefahren. Dabei wurde das ökologisch sensible Gebiet des Schnecktals mit einer minimalen Überdeckung von 4,5 m umweltverträglich und mit geringem Oberflächeneingriff erfolgreich unterfahren. Dieser Erfolg wurde entscheidend durch konsequente Umsetzung einer speziell auf das Schildvortriebsverfahren ausgerichteten Strategie erzielt, die ausgehend von der Planung über die Bauvorbereitung bis hin zur bautechnischen Realisierung durch Definition und kontinuierliche Überwachung der maßgebenden verfahrens- und maschinentechnischen Beurteilungsparameter im Sinne eines Prozesscontrollings bestimmt wird. Charakteristisches Merkmal dieser Strategie ist die Risikoprävention, die durch spezielle Lenkungselemente zielgerichtet umgesetzt wird. Als Lenkungselemente zur Risikoprävention gelten Störfallanalysen, TVM-Pflichtenheft, Schildhandbuch, Maschineninspektion und Prozesscontrolling mit den zugeordneten unterstützend wirkenden Vortriebsvorschauen und Arbeitsanweisungen.

Der vorliegende Beitrag beschreibt nach einem grundsätzlichen Projektüberblick die Umsetzung dieser Strategie bei der Vorbereitung und Umsetzung des Schildvortriebs am Beispiel der Unterfahrung des Schnecktals (Bild 1).

2 Projektüberblick

Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8 wurde 1991 wenige Monate nach der Wiedervereinigung von der Bundesregierung auf den Weg gebracht. Es ist mit dem Aus- und Neubau von rd. 500 km das größte der neun Schienenprojekte des Programms und zählt zu den Projekten zum Ausbau der transeuropäischen Verkehrsnetze (Bild 2).

Der Finnetunnel, mit 6970 m der längste Tunnel des Abschnitts der NBS VDE 8.2, ist aus Sicherheitsgründen als Doppelröhrentunnel konzipiert und unterfährt am Ostrand der Thüringer Mulde den an der Finne aufragenden Gebirgsrücken der Finnestörung. Einen wesentlichen Zwangspunkt bei der Wahl der Trassierung stellte die aus ökologischen Gründen notwendige Unterfahrung des Schnecktals mit einer Überdeckung von ca. 4,5 m dar. Zusätzlich musste für die Konzeption der in weiten Teilen bis zu 50 m über den Tunnelröhren liegende Bergwasserspiegel berücksichtigt werden.

In Erfüllung dieser Randbedingungen sah der Ausschreibungsentwurf als Vortriebskonzept, vom westlichen Angriffspunkt ausgehend, einen parallelen Schildvortrieb mit zwei Schildvortriebsmaschinen und Tübbingausbau vor, wobei die Vortriebsmaschinen die ersten 1547 m mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust (Hydroschildmodus) und die nachfolgende 3095 m lange Strecke bis zur Einfahrt in die Demon-tagekaverne ohne flüssigkeitsgestützte Ortsbrust (Open-Mode) auffahren sollten. Von Osten war ein Gegenvortrieb in Spritzbetonbauweise, mittels Spreng-/Baggervortrieb und einem späteren Einbau der Innenschale vorgesehen.

Mit der Ausführung der Gesamtbaumaßnahme Finne-tunnel wurde im Dezember 2006 von Seiten der DB Netze AG, vertreten durch die DB ProjektBau GmbH, Leipzig, die Arge Finnetunnel, bestehend aus Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt am Main, Max Bögl Bauunternehmung GmbH & Co. KG, München, Porr Technobau und Umwelt GmbH, München und Porr Tunnelbau GmbH, Wien, beauftragt.

Nach Beginn der Bauleistung musste infolge geänderter Randbedingungen die Technologie hinsichtlich des Vortriebskonzepts von der Arge Finnetunnel angepasst werden. Das geänderte Vortriebskonzept beinhaltete den Verzicht auf einen Gegenvortrieb in konventioneller Bauweise und die Verlängerung der Schildvortriebsstrecken über die gesamte Tunnellänge bis zum Ostportal. Infolgedessen war nun auch der Bereich des Schnecktals mit den Vortriebsmaschinen zu bewältigen.

3 Geotechnisch-hydrologische Verhältnisse

3.1 Überblick

Die Neubaustrecke quert im Bauabschnitt Finnetunnel den Übergang vom Thüringer Becken zur relativ dazu herausgehobenen Struktur der Hermundurischen Scholle. Diese beiden Strukturen werden voneinander durch die etwa Nordwest-Südost streichende Finnestörungszone getrennt.

Für den Finnetunnel, welcher auf seiner Gesamtlänge Gesteinsformationen des Trias durchfährt, ergab sich dadurch folgende geologische Abfolge: in der westlichen Eingansstrecke wurden ca. 300 m Muschelkalk und Keuper angefahren, danach folgten ca. 650 m im Unteren Buntsandsein und ca. 5900 m im Mittleren Buntsandstein. Auf den ersten 1500 m war die Wechselfolge aus Mergel-, Kalk-, Schluff-, Sand- und Tonsteinen stark durch die Finnestörung beeinflusst (Bild 3).

Der Grundwasserspiegel steigt im Bereich des Finnetunnels vom Westen aus kontinuierlich an und steht über weite Bereiche bei einem Maximum von ca. 50 m über der Tunnelfirste. Östlich des Steinbachtals fällt der Grundwasserspiegel zum Saubachtal hin ab, wodurch der östliche Teil des Finnetunnels oberhalb des Grundwasserspiegels liegt.

3.2 Vorerkundungen im Bereich des Schnecktals

Das Schnecktal befindet sich in der Teilstrecke des Mittleren Buntsandsteins. Der Taleinschnitt wird von den Tunnelröhren in einem schleifenden Schnitt unterfahren und ist gekennzeichnet durch beidseitig relativ steile Böschungsflanken (Bild 1).

In den ingenieurgeologischen Gutachten wurden die geologischen Verhältnisse durch im oberflächennahen Bereich anstehende quartäre Lehme und darunter liegende Schichten des Mittleren Buntsandsteins mit einem Verwitterungshorizont von mindestens 1 bis 2 m Mächtigkeit charakterisiert.

Für den ausgeschriebenen Vortrieb in Spritzbetonbauweise in Kombination mit der vertraglich vorgesehenen vorauseilenden Sicherung mittels Rohrschirm waren diese Angaben zur Geologie hinreichend genau, nicht jedoch für einen Maschinenvortrieb. Aus diesem Grund wurden im Vorfeld des Maschinenvortriebes weitere Kernbohrungen im direkten Talbereich durchgeführt (Bild 4).

Die Ergebnisse dieses ergänzenden Erkundungsprogramms lassen sich wie folgt zusammenfassen:

■ Die nördliche Tunnelröhre verläuft rd. 1,5 bis 2,6 m unterhalb der entfestigten bis zersetzten Verwitterungszone des Buntsandsteingebirges. Dabei liegt die Tunnelfirste und ca. der halbe Ausbruchquerschnitt in einer Schichtenfolge überwiegend schlechter bis mäßiger Kornbindung.

■ Die südliche Tunnelröhre verläuft bereichsweise direkt unterhalb des entfestigten bis zersetzten Verwitterungshorizontes, wobei im oberen Teil des Ausbruchquerschnitts wenig feste Sedimente mit überwiegend schlechter bis mäßiger Kornbindung auftreten.

■ In den Firstbereichen beider Röhren, – vor allem in der Südröhre – ist aufgrund geringer Überlagerung und überwiegend geringfesten Sedimenten mit einem Nachbrechen der Tunnelfirste bzw. mit Ausbrüchen zu rechnen.

■ Die Gebirgsverhältnisse lassen sich weiterhin mit flachen Lagerungsverhältnissen des Buntsandsteingebirges und steil stehenden Kluftflächen charakterisieren.

■ In den unteren Querschnittsbereichen ist die Kornbindung überwiegend gut und die Gesteinsfestigkeit besser; es treten vereinzelt geringmächtige Schluffsteinlagen auf.

4 Bauverfahren mit Schildmaschine

Wie zuvor dargestellt sah der Entwurf aufgrund der geologischen und hydrologischen Randbedingungen und der nur teilweise durchführbaren Grundwasserabsenkungsmaßnahmen eine Unterteilung der gesamten Schildvortriebsstrecke in Bereiche mit und ohne flüssigkeitsgestützter Ortsbrust vor.

Die ersten ca. 1500 m wurden demnach im sogenannten geschlossenen Modus (closed-mode) mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust vorgetrieben. Im Anschluss an diesen Bereich war die Ortsbrust ausreichend standsicher und der Wasserandrang beherrschbar, so dass auf eine aktive Ortsbruststützung verzichtet werden konnte und der Abschnitt im offenen Betriebsmodus (open-mode) bewältigt werden konnte. Nach Umbau der Schildmaschinen erfolgte somit der Vortrieb über die restliche Strecke im offenen Modus (open-mode) ohne aktive Ortsbruststützung.

Die Zielsetzung der Ausschreibung war darauf ausgerichtet eine Schildmaschine zum Einsatz zu bringen, die ausreichend Möglichkeiten bietet, mit den für den Vortrieb prognostizierten baugrund-, verfahrens- und maschinentechnischen Problemen möglichst sicher und schnell fertig zu werden um einen ungehinderten, störungsfreien Vortrieb realisieren zu können. Zu diesem Zweck sah die Ausschreibung zur Beherrschung der geologischen Randbedingungen und der Anforderungen aus der Umgebung spezielle maschinentechnische Anforderungen vor, die in einem gesonderten Anforderungsprofil an die Schildmaschine in der Ausschreibung zusammengefasst wurden.

Weiterer Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen war die Abforderung einer Störfallanalyse für kritische Vortriebssituationen. Mit Hilfe dieser Störfallanalyse sollte sich der Auftragnehmer (AN) mit allen vorhersehbaren geologischen, verfahrens- und maschinentechnischen sowie aus der Umgebung resultierenden Störfällen bzw. Erschwernissen für den Vortrieb auseinandersetzen, um dieses Wissen bei der Konzipierung der Schildmaschinen einfließen zu lassen.

Die Störfallanalyse war im Sinne der Risikoprävention darauf ausgelegt, den betreffenden Störfall in seinen Konsequenzen erst gar nicht eintreten zu lassen. Die beim Maschinenkonzept umgesetzten konstruktiven Maßnahmen fungierten dabei als Präventivmaßnahmen. Überwachungs- und Kontrollsysteme dienten der frühzeitigen Vorauserkennung des jeweiligen Störfallszenarios, auf dessen Basis die Maßnahmen zur Beherrschung bereits im Vorfeld der Auffahrung definiert wurden.

Entsprechend der Strategie der Ausschreibung wurden nachfolgende Lenkungselemente ebenfalls für die Konzipierung der Schildmaschine Vertragsbestandteil:

■ Erstellung eines Pflichtenhefts für die Konstruktion der Maschine, in der im Wesentlichen die an die Maschine gestellten Anforderungen mit verfahrens- und maschinentechnischen Lösungen belegt werden,

■ „Abnahme“ der Schildmaschinen im Herstellerwerk mit Vorführung der wesentlichen Funktionen,

■ Erstellung eines Schildhandbuchs mit Konkretisierung der maschinen- und verfahrenstechnischen Überwachungsparameter zur Sensibilisierung des Vortriebspersonals.

Auf eine allgemeine Darstellung der einzelnen Schritte dieser Strategie und deren Umsetzung bei der Konzipierung der Tunnelvortriebsmaschinen und bei der Vorbereitung des Vortriebs wird an dieser Stelle verzichtet und auf die Literatur verwiesen. Nachfolgend wird die Adaptierung der Strategie ausschließlich unter Berücksichtigung der aus der Technologieanpassung resultierenden Randbedingungen im Bereich des Schnecktals dargestellt.

Bei der Konzeption der TVM musste nicht nur den bekannten bzw. durch das zusätzliche Erkundungsprogramm vertieften geologischen Randbedingungen Rechnung getragen werden, sondern speziell auch der Forderung nach minimalen Setzungen zur Vermeidung eines Ver-bruchszenarios bei einer minimalen Überdeckung von 4,5 m.

Eine für die Belange dieses Bereichs wesentliche Anforde-rung war die Möglichkeit zur Herstellung eines Injektionsschirmes bzw. Rohrschirmes im Firstbereich zur vorauseilenden Stabilisierung des Baugrunds.

Zur Bauausführung vorgeschlagen und beauftragt wurden konform den Ausschreibungsbedingungen zwei umbaubare Schildmaschinen (Tabelle), die von Herrenknecht geliefert wurden (Bild 5).

Die Konzipierungsphase der Schildmaschinen durch die Arge wurde vom Bauherrn und seinen Beratern aktiv begleitet. Zusätzlich zur vertragskonformen Auslegung der Schildmaschinen brachte der Bauherr, unterstützt durch seinen Berater, Empfeh-lungen vor, die in den wesentlichen Grundzügen vom Auftragnehmer auch aufgenommen und umgesetzt wurden.

Die TVM wurden dabei für das Schnecktal entsprechend der Anforderungen so ausgestattet, dass vom Schild aus Möglichkeiten sowohl für die Durchführung von Erkundungsbohrungen als auch für Ertüchtigungsmaßnahmen in Form von Injektionsbohrankern bzw. einem Rohrschirm bestehen.

Es bestand die Möglichkeit mittels einer Bohrplattform durch Bohrkanäle in der Druck- bzw. Tauchwand durch das Schneidrad hindurch zu bohren. Dabei konnten die Bohrungen sowohl frontal horizontal als auch geneigt unter einem Winkel von 8° Grad erfolgen (Bild 6 bis 8).

Eine weitere Möglichkeit für die Durchführung der Bohrun-gen ergab sich durch Bohrlafetten, welche auf Erektoradapterplatten aufgesetzt das Ausführen von radialen Schrägbohrungen in einem Winkel von ca. 10° durch den Schildmantel hindurch gewährleisteten.

Bei der Inspektion der Vor-triebsmaschinen im Herstellerwerk wurde im Zuge der Demonstrationen der grundsätzliche Nachweis zur Installation des Bohrgeräts und zur Ausführung und Machbarkeit der Injektionsbohrungen bzw. Vorrausbohrungen erbracht. Mit dieser Funktionsprüfung war der Prozess der Konzeption der TVM entsprechend der maschinentechnischen Anforderungen grundsätzlich abgeschlossen.

5 Maschinen- und bauverfahrenstechnisches Konzept zur Unterfahrung des Schnecktals

Dem grundsätzlichen Konzept des Bauablaufes folgend wurde der Vortrieb in der Südröhre erst nach dem Auffahren des Hydroschildbereichs (1500 m) in der Nordröhre gestartet. Dies führte dazu, dass der Nordvortrieb im Bereich des Schnecktals, mit den günstigeren Randbedingungen, ca. 5 Monate vor dem Südvortrieb erfolgte. Erkenntnisse aus dem ersten Vortrieb konnten somit noch in die Vorbereitung des schwierigeren Vortriebs der Südröhre einfließen.

Im Zuge der Vorbereitungsarbeiten für die Planungen zur Unterfahrung des Schnecktals wurde durch die Arge festgestellt, dass die 2007 durchgeführten Verfüllungen der Erkundungsbohrungen teilweise nachgesackt waren. Um eine daraus resultierende negative Beeinflussung auf den Vortrieb auszuschließen, wurde das Gebirge durch den AN von Obertage über Injektionsbohrungen bis knapp unter die Tunnelfirste injiziert.

Für das Unterfahrungskonzept wurden in der Ausführungsplanung kritische Vortriebsbereiche definiert, welche zum Einen auf die prognostizierte Gebirgsqualität und zum Anderen auf die anstehenden Überdeckungsverhältnisse abgestimmt waren. Diese Bereichseinteilung diente der systematischen Vortriebskategorisierung und wurde als Basis zur Entscheidung und Festlegung des Einsatzes und Umfangs von präventiven Ertüchtigungsmaßnahmen genutzt.

Unterschieden wurden 4 Bereiche, welche entsprechend ihres Risikopotenzials anhand des Verhältnisses von Bodenüberdeckung zu Tunneldurchmesser in Bild 9 farblich hervorgehoben sind.

Zeitgleich wurden die verschiedenen, von der TVM aus realisierbaren, Erkundungsbohrungen und Ertüchtigungsmaßnahmen im Detail geplant und in einem weiteren Schritt den definierten Vortriebsbereichen zugeordnet. Als Ergebnis entstand eine Matrix, in der sowohl die planmäßigen Maßnah-men als auch für den Fall sich verschlechternder Verhältnisse die zugeordneten Rückfallebenen definiert sind (Bild 10).

Die letztlich zutreffende endgültige Festlegung hinsichtlich Umfang und Umsetzung der Ertüchtigungsmaßnahmen sollte vortriebsbegleitend in Abhängigkeit der insitu angetroffenen Verhältnisse erfolgen.

Zusätzlich zur Aufnahme und Beurteilung der geologischen Verhältnisse direkt an der Ortsbrust und der Analyse sowie der Bewertung der wesentlichen Maschinenparameter inkl. Beurteilung der Bettungssituation des Tübbingausbaus waren die Oberflächensetzungen ein maßgebliches Kriterium für die Wahl und Festlegung der Bewältigungsmaßnahmen.

Die Verformungswerte wurden kategorisiert in Melde-, Warn-, und Alarmwerte als sogenannte Eingreifwerte, welche im Eintretensfall direkt mit entsprechenden Gegenmaßnahmen sowohl von Obertage als auch von Untertage verknüpft sind.

Ausgehend von diesem grundlegenden Konzept mussten maschinentechnische Vorgaben definiert, ein umfassendes Überwachungsprogramm installiert und Arbeitsanweisungen aufgestellt werden, um somit die wesentlichen Einflussgrößen miteinander verknüpfen zu können.


5.1 Maschineneinstellung

Für den planmäßigen Vortrieb wurden in den speziell auf die Schnecktalunterfahrung abgestimmten Arbeitsanweisungen nachfolgende maschinentechnische Maßnahmen definiert:

■ Durchführung eines ausgeweiteten Wartungsstopps vor Unterfahrung des Schnecktals mit dem Ziel, maschinentechnische Stillstände der TVM in den kritischen Bereichen zu vermeiden.

■ Reduzierung des Steuer-spalts der TVM während des ausgeweiteten Wartungsstopps durch den Einbau von Kaliberdisken mit definierten Verschleißmaßen auf ein technisch notwendiges Minimum.

■ Schmierung des Schildmantels im Extremfall mit dickflüssiger Bentonitpaste über radiale Injektionsöffnungen im Schildmantel zur Reibungsreduzierung, rechtzeitig vor Verklemmung des Schildes.

■ Einbau von Tübbingen mit erhöhtem Bewehrungsgehalt zur Bewältigung von erhöhten Vortriebskräften und evtl. asymmetrischer Gebirgslasten.

■ Verschärfte Kontrolle und Einstellung der relevanten Maschinendaten.

■ Generell wird während der Vortriebe der Abstand der Ortsbrust zur Schildschneide so klein wie möglich gehalten (minimale Schneidradverschiebung).

■ Ständige direkte visuelle Beobachtung des Abbauvorganges über die Mannluke in der Tauchwand.

■ Anhalten des Vortriebs und Inspektion der Ortsbrust bei visuell festgestellten Mehrausbrüchen oder Mehrtonnagen an der Bandwaage.

Zur Beherrschung von In-stabilitäten, insbesondere im Firstbereich, waren folgende Maßnahmen geplant:

■ Bei Ausbrüchen größer 20 cm wird der Vortrieb weitergefahren, bis der Mehrausbruch mind. 25 cm längs über der Schildschneide liegt. Dann wird der Hohlraum über dem Schild mit schnell reagierendem Silikatschaum verfüllt.

■ Bei Instabilitäten der Ortsbrust werden die Abbauparameter im Vortrieb als Erstmaßmahme angepasst (keine Schneidraddrehung ohne Vortrieb, Erhöhung Anpresskraft und Begrenzung Penetration).

5.2 Überwachungsprogramm

Der Vortrieb wurde durch eine kontinuierliche Maschinendatenkontrolle und Überwachung des gesamten Vortriebsprozesses begleitet. Die Daten wurden permanent und lückenlos automatisch aufgezeichnet, online und in Echtzeit an die Baustelle, die Bauüberwachung (BÜ), den Bauherrn und seine Berater weitergeleitet sowie auf Datenträgern gespeichert und archiviert.

Die Daten der Baugrundverformungen ermöglichten im Zusammenwirken mit den Beobachtungen der Ortsbrust über die Mannluke eine qualifizierte Überprüfung der vorab definierten Vortriebsparameter und dienten im Wesentlichen der Beurteilung der erforderlichen Anpassung der Vortriebsparameter und letztlich der notwendigen Zusatz- und Ertüchtigungsmaßnahmen zur Stabilisierung des Baugrunds. Zur Ermittlung der Oberflächenverformungen wurden im Schnecktal, im Bereich der jeweiligen Tunnelröhre Messquerschnitte installiert (Bild 11) und über die Zeiträume der Unterfahrung überwacht.

Zur kontinuierlichen Ermittlung der Absolutverformungen der einzelnen Messpunkte wurde ein automatisches Messsystem (Tachymeter) im Schnecktal eingesetzt. Die Verformungsergebnisse wurden mittels Datenfernübertragung über das Baubüro an das Personal auf der Vortriebsmaschine weitergeleitet. Zusätzlich wurde eine grafische Auswertung der Setzungen online über Internet den maßgebenden Personen und Beratern zur Verfügung gestellt. Dadurch waren eine ständige Überprüfung und Beurteilung der Daten und kurze Reaktionszeiten sichergestellt.

5.3 Arbeitsanweisungen

Zusätzlich zum Schildhandbuch, welches das verfahrenstechnische Anforderungsprofil für die Schildfahrt einschließlich der Umsetzung der in der Störfallanalyse definierten Maßnahmen darstellt, verfolgt die Arbeitsanweisung das Ziel das Vortriebspersonal zu sensibilisieren, um kritische Vortriebssituationen frühzeitig erkennen und entsprechend bewältigen zu können.

Dabei werden die teilweise komplexen und umfangreichen Ausarbeitungen (Ausführungsplanung, Vortriebsvorschau, geologische bzw. geotechnische Erkundungen, etc.) komprimiert und die wesentlichen vortriebsrelevanten Tätigkeiten dem Vortriebspersonal zur Verfügung gestellt.

Für die Schildfahrt im Bereich des Schnecktals wurden u. a. in der Arbeitsanweisung folgende Parameter definiert:

■ Maschinentechnische Einstellungsparameter inkl. möglicher Bandbreiten (Range) und Vorgaben zur Auswertung der Daten.

■ Vorgaben hinsichtlich der Überwachung der Massenbilanz; der visuellen Beobachtung der Ortsbrust und der Auswertung der Setzungsmesswerte an der Geländeoberfläche. Vorgaben für den Beobachtungsposten Obertage.

■ Definition der Arbeiten zur Ertüchtigung der Ortsbrust und/oder Laibung.

■ Detaillierte Vorgaben zum Verhalten und zu den Maßnahmen bei sich evtl. einstellenden Schildüberbrüchen.

Weiterhin wurden zur Abgrenzung der Verantwortlichkeiten und zur Sicherstellung einer strikten Befolgung und Umsetzung der Maßnahmen Organigramme, Alarmierungsketten und Schichtpläne des leitenden Vortriebspersonals in die Arbeitsanweisung integriert.

6 Durchführung des Vortriebes und Analyse der Vortriebserfahrungen

Im August 2009 wurde der Vortrieb der Nordröhre im Bereich des Schnecktals mit einem Vorlauf von ca. 5 Monaten vor der Südröhre durchgeführt.

Die geologischen Verhältnisse wurden zum einen über Ortsbrustaufnahmen während der Vortriebspausen des Ringbaus und zum anderen kontinuierlich visuell über die mit einem Metallgitter gesicherte Mannluke beobachtet (Bild 12).

Diese geologischen Aufnahmen wurden auf den ersten Metern der Schnecktalunterfahrung (im grünen und gelben Bereich) durch 2 Erkundungsbohrungen durch das Schneidrad hindurch in Vortriebsrichtung ergänzt. Hinweise auf mögliche Unregelmäßigkeiten waren nicht angezeigt.

Aufgrund der profilhaltigen günstigen geologischen Verhältnisse und der an der Oberfläche gemessenen minimalen Setzungen wurde vom Vortriebsper-sonal in Absprache mit dem Bauherrn und seinen Beratern entschieden, auf zusätzliche Ertüchtigungsmaßnahmen (GFK-IBO-Anker bzw. Rohrschirm) aus der Maschine heraus zu verzichten, um Vortriebsunterbrechungen möglichst zu vermeiden, die Schichtung im Firstbereich nicht unnötig zu stören und einen möglichst kontinuierlichen Vortrieb durchführen zu können.

Beim weiteren Vortrieb führte eine leichte Zunahme des Verwitterungsgrades einzelner Schichtlagen im dunkelroten Bereich in Verbindung mit der schlechten Kornbindung zu Nachbrüchen im Firstbereich. Zur Reduzierung und Vermeidung dieser Nachbrüche bzw. zur Stützung des Gebirges wurde während des Ringbaus über 4 Ringe Silikatschaum auf die Laibung bzw. in den Ringspalt zwischen Schildschneide und dem anstehenden Gebirge eingebracht.

Durch diese Vorgehensweise gelang es, die kritischen Bereiche des Schnecktals im Bereich der Nordröhre (56 m) innerhalb von ca. 47 Stunden erfolgreich zu unterfahren, ohne das kritische Vortriebszustände eintraten. Die an der Geländeoberfläche gemessenen Setzungen unterschritten überwiegend deutlich den Warnwert von 10 mm und wurden infolge der Mörtelverpressung meist wieder auf die ursprüngliche Ausgangshöhenlage gehoben (Bild 13).

Die Erfahrungen aus dem Vortrieb der Nordröhre wurden im Zuge der Vortriebsnachschau bzw. in einem separaten Erfahrungsbericht ausgewertet und dienten der Vorbereitung und Feinabstimmung des Vortriebskonzepts für die Südröhre.

Infolge der im Gegensatz zur Nordröhre ungünstigeren Lage im Taleinschnitt und der entsprechend der Erkundungsbohrungen im Jahr 2007 prognostizierten bis in den First-bereich ragenden Verwitterungs- und Lockergesteinshorizonts konnten die Ergebnisse in der Nordröhre nur bedingt auf die Südröhre übertragen werden. In den kritischen Bereichen fehlten weiterhin belastbare Aussagen bzgl. der durch die Verfüllung der Erkundungsbohrungen vermuteten Gebirgsvergütung. Aus diesem Grund wurde für die weitere Erfassung der tatsächlichen Verhältnisse und zur Risikominimierung eine zusätzliche Kernbohrung im Firstbereich des Tunnels durchgeführt.

Im Ergebnis dieser Erkundungsbohrung konnte von einer Baugrundvergütung und einem im Vergleich zur Nordröhre analogen „Festgesteins-Dach“ oberhalb der Tunnelfirste ausgegangen werden.

Entsprechend der vorliegenden Erkenntnisse und basierend auf dem Prinzip, im kritischen Bereich eine kontinuierliche und zügige Unterfahrung mit der Schildmaschine durchzuführen, wurde das Konzept für den Vortrieb der Südröhre im Bereich des Schnecktals angepasst. In der Arbeitsanweisung wurde die Entscheidungsmatrix so modifiziert, dass zusätzliche Ertüchtigungsmaßnahmen aus der TVM heraus (IBO-GFK-Anker) nicht mehr als planmäßige Maßnahme, sondern als Rückfallebene vorgegeben wurden. Diese Zusatzmaßnahmen sollten auf Basis vorab definierter Beurteilungskriterien mit den ihnen zugeordneten Warnwerten (insbesondere Setzungen und Ausbrüche im Firstbereich) eingeleitet werden.

Zur Sicherstellung einer qualifizierten Einschätzung der maßgebenden Beurteilungskriterien und Anordnung der daraus resultierenden definierten Bewältigungsmaßnahmen wurde die personenbezogene Hierarchie der Verantwortlichkeiten gegenüber dem Vortrieb in der Nordröhre nochmals verschärft. Zur Optimierung der Einbringung des Silikatschaums im Firstbereich zwischen Schildmantel und Gebirge wurden auf der TVM-Süd zusätzliche Verpressöffnungen im Schildmantel im vorderen Teil der Arbeitskammer angebracht. Dadurch war nun im Vergleich zur Erstanwendung mittels gebogener Injektionslanze bei der Unterfahrung mit der TVM-Nord ein Einbringen von Schaum nicht nur während des Schneidradstillstandes sondern auch gezielt während des Vortriebs möglich.

Die TVM-Süd erreichte den Bereich der Schnecktalunterfahrung im Januar 2010. Die angetroffenen geologischen Verhältnisse waren mit denjenigen der Nordröhre vergleichbar und konnten sogar in weiten Bereichen als günstiger eingestuft werden. Dies zeigte sich insbesondere durch ein geringeres Nachbruchverhalten. Der Vortrieb konnte somit entsprechend dem Vortriebskonzept im Wesentlichen ohne zusätzliche Maßnahmen mit minimalen Setzungen durchgeführt werden. Zu keinem Zeitpunkt stellten sich kritische Vortriebszustände ein. Die Tübbingschale konnte planmäßig gebettet und schadensfrei eingebaut werden.

Die erfolgreiche Unterfahrung des Schnecktals mit der TVM-Süd in einem Zeitfenster von ca. 70 Stunden für die 100 m des kritischen Bereichs ist das Resultat der intensiven Vorbereitung und konstruktiven Zusammenarbeit aller Beteiligten.


7 Zusammenfassung und Ausblick für zukünftige Projekte

Das beim Finnetunnel zum Einsatz gekommene Vortriebskonzept hat sich auch bei der Bewältigung von schwierigen Vortriebssituationen voll bewährt. Der Bereich des Schnecktals konnte in beiden Röhren mit höchster Ausbauqualität, minimalen Setzungen und ohne Störungen aufgefahren werden. Dieses Ergebnis wurde maßgebend durch die konsequente Umsetzung der im Beitrag beschriebenen Strategie bestimmt. Aus diesem Grund sollte die angewandte Strategie für zukünftige Projekte ebenfalls zum Einsatz kommen.

Literatur
[1] Handke, D.: Prüfen der Schildmaschine auf Eignung und Abnahme auf der Grundlage einer Risikoanalyse. Lehrstuhl für Bauverfahrenstechnik, Tunnelbau und Baubetrieb (Hrsg.): Risikopotential und -bewältigung bei aktuellen Tunneln. Tagungsband zum XI. Kolloquium für Bauverfahrenstechnik, S. 27–42. Essen: Verlag Glückauf GmbH, 2003.

[2] Handke, D., Maidl, B.: Bauverfahrenstechnische Prozessabhängigkeiten als Steuerungselemente zur Risikominimierung bei der Realisierung von Schildprojekten – Vorstellung einer Risikostrategie auf der Basis baupraktischer Erfahrungen. Tunnelbau Taschenbuch 2006, S. 189–220.

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