Tunneltag 2012 in Salzburg
Auf dem diesjährigen Österreichischen Tunneltag am 10. Oktober 2012 in Salzburg wurde über besondere Herausforderungen aktueller Großbaustellen, Innovationen und Kreativität zur Projektoptimierung im Tunnelbau berichtet sowie über neue Vergabemodelle (ITA-Papier).
Das Österreichische Nationalkomitee der International Tunnelling and Underground Space Association (ITA) veranstaltete gemeinsam mit seinen Mitgliedern – Österreichische Gesellschaft für Geotechnik (ÖGG), Austrian Tunnel Association (ATA), Österreichische Bautechnik Vereinigung (öbv), Österreichische Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr und Österreichischer Ingenieur- und Architekten-Verein (ÖIAV) – am 10. Oktober 2012 seinen 8. Tunneltag im Kongresszentrum Salzburg. Der Tunneltag findet dort im Zweijahresrhythmus in Verbindung mit dem 61. Geomechanik Kolloquium (11./12. Oktober 2012, diesmal zu 50 Jahre NATM) statt, woran fast 1000 Fachleute aus 26 Ländern teilnahmen. Eingangs wurde über das Wirken der ITA und der ITA Austria (Prof. Dr. Robert Galler, Montanuniversität Leoben) berichtet. Dazu gehört auch die Herausgabe des Buches „50 Jahre NATM - Erfahrungsberichte“ [3], das alle Tagungsteilnehmer erhielten.
Besondere Herausforderungen aktueller Großbaustellen
Der erste Halbtag befasste sich mit Veränderungen bei der Planung und Ausführung (auch Sondervorschlägen) sowie Änderungen infolge der angetroffenen Gebirgsverhältnisse.
Tunnelbau auf der Bahnstrecke VDE 8.1 Erfurt-Ebensfeld am Beispiel Tunnel Eierberge
Der 3.756 m lange zweigleisige Eisenbahntunnel mit 3 Notausgängen im Abstand von 1000 m ist Teil der Neubaustrecke Ebensfeld-Erfurt (107 km), einem Teilabschnitt des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8 mit der Aus- und Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt-Leipzig/Halle-Berlin [4]. Er wurde mit 160 bis 190 m² Ausbruchquerschnitt in zyklischem konventionellen Sprengvortrieb und Sicherung nach der Österreichischen Tunnelbauweise in 3 Abschnitte (Kalotte, Strosse und Sohle) aufgefahren und liegt zur Gänze unter dem Grundwasserspiegel. Das konstruktive Tunnelbauwerk wurde wegen der vorherrschenden Wasserdrücke bis 6 bar mittels druckwasserhaltender Rundabdichtung mit Kunststoffdichtungsbahnen (KDB) und Ortbetoninnenschale (WUBK; 45 bis 95 cm) druckdicht ausgebildet. Um der Forderung einer während des Baus geänderten Richtlinie (953.4101) nachkommen zu können, musste ein integriertes Injektionssystem (Bild 1) geplant und eingebaut werden, das bei der Deutschen Bundesbahn (DB) in diesem Tunnel zum ersten Mal zum Einsatz gelangte.
Södermalmtunnel Stockholm – ein Grenzgang
Der rd. 1,4 km lange zweigleisige Tunnel mit parallelem Rettungsstollen und entsprechenden Querstollen für die Citybanan, S-Bahn Stockholms, (Hauptbaulos B-9528) wurde in Gneiss-/Granitformationen im Vollausbruch (rd. 100 bzw. rd. 40 m²) und mit Abschlagslängen von bis zu 5 m überwiegend im Sprengvortrieb aufgefahren bei Versiegelung des Gebirges mit stahlfaserbewehrtem Spritzbeton und zuvor bis zu 20 m durch Injektionen mit eingebautem Dichtschleier.
Neben 10 Tunnelkreuzungen waren eine Reihe von schwierigen Gebäudeunterfahrungen zu bewältigen, wie z.B. die Maria Magdalena Kirche, älteste Kirche Stockholms, u.a. mit Selbstbohranker-Injektionsschirmen oberhalb des Tunnels zum Vermeiden von Setzungen bei schützenswerten Gebäuden. Dazu wurden Einzelheiten zur Planung und Durchführung sowie zu Untersuchungen gebracht.
Geologische und logistische Herausforderungen beim 26 km TBM-Vortrieb des Pinglu Tunnels in China
Der Pinglu Tunnel ist Teil des Yellow River Diversion Projekts (YRDP) und wesentlicher Bestandteil der 156 km langen North Main Line. So soll Wasser des Gelben Flusses (48 m³/s) aus dem Wanjiazhai Reservoir auf die höher gelegene Löss-Ebene im Nordwesten der Provinz Shanxi der Volksrepublik China gepumpt werden, wo in den 3 urbanen und industriellen Zentren Taiyuan (4 Mio. Einwohner), Datong und Shuozhou (1,4/1,7 Mio. Einwohner) Wassermangel herrscht.
Der 25,6 km lange Pinglu Tunnel [5] beginnt nordwestlich von Suozhou (Bild 2), unterfährt die Stadt Pinglu, hat in Tunnelmitte eine Revisionskaverne und führt danach in Richtung Westen in die Demontagekaverne. Die maschinelle Einrichtung für den Tunnelvortrieb wurde vom Bauherrn zur Verfügung gestellt und war teilweise über 10 Jahre alt, musste also vor dem Einsatz erst aufgearbeitet und ergänzt werden, insbesondere die TVM mit 4,88 m Bohrkopfdurchmesser mit Nachläufer und ZED-Steuerung; für die Logistik sorgten 6 Zuggarnituren (Ausbruchmaterial, Tübbinge, Perlkies und Zement) mit 22 bis 25 km/h und der 540 m lange Schrägschacht zur Revisionskaverne in Tunnelmitte.
Der Tunnel wurde mit einem hexagonalen Tübbingsystem (4+0; 0,25/1,20 m) ausgebaut, die Fugen mit quellfähiger Masse zur Vermeidung von Wasserverlusten durch Leckagen ausgefüllt. Die Tübbinge wurden unmittelbar hinter dem Ringbereich mit Perlkies hinterfüllt und am Ende des Nachläufers der Ringspalt mit Mörtel verpresst. Insgesamt wurden 85.000 Stahlbeton-Tübbinge in einem Fertigteilwerk hergestellt.
Es waren 4 schichtparallele Kohlenflöze mit bis zu 12 m Mächtigkeit zu durchörtern, was den Einbau modernster Gaserfassungstechnologie (Gasalarm) und Vorkehrungen bei der Lüftung erforderlich machte. Über Strecken von 800 m fand eine Steinkohlegewinnung im Vollschnitt statt (62 Ringe/d).
Im Laufe der Vortriebsarbeiten auf 25,6 km Länge waren einige geologische Problembereiche zu meistern:
• Erhöhter Verschleiß am Bohrkopf im ersten Tunnelabschnitt infolge verschleißharter Mineralien (<5 Mpa) zusammen mit Gebirgswasser (Schleifpaste)
• Absinken der TVM infolge stark gestörter und verwitterter Bereiche (tonige
Schluffe mit bis zu 45 % Wassergehalt): nach umfangreicher Vorerkundung Erstellung eines 50 m langen Umgehungsstollens
• Durchörterung von Karststrukturen, teils mit Wasser, Schlamm und großen Findlingen gefüllt
• Schlamm- und Wassereinbrüche (bis zu 190 l/s)
• Verklemmen des TVM-Schildes mit längerem Stillstand wegen Instandset-
zungsarbeiten (Firststollen über TVM)
Der Durchschlag des Pinglu Tunnels fand nach 49 Monaten bei Vortriebsleistungen von 530 bis 1.700 m/Mon (max. 75 m/d) im November 2010 statt (Bild 3), zeitgerecht zur Gesamtfertigstellung des Projekts im September 2011. Die Baukosten für den Tunnel betrugen 84 Mio. EUR, das sind rd. 3.300 EUR/lfdm Tunnel.
Großprojekt Stuttgart 21 – Neubaustrecke Wendlingen-Ulm
Viele verbinden mit dem Projekt „Stuttgart 21“ in erster Linie das in der Öffentlichkeit bekannteste Bauwerk, den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof (Bild 4). Das Projekt besteht aber aus den beiden Teilprojekten Stuttgart 21 und der abschließenden Neubaustrecke (NBS) zwischen Wendlingen und Ulm [6].
Der bestehende Stuttgarter Kopfbahnhof wird zu einem um 90° gedrehten und tiefer gelegten Durchgangsbahnhof umgebaut, und zwar künftig mit 8 Gleisen an 4 je 420 m langen Mittelbahnsteigen, wobei die neuen Gleise in etwa 11 m Tiefe liegen (Bild 4). Der neue Bahnhof wird in alle Richtungen an das regionale und überregionale Schienennetz über 4 Zufahrtsgleise je Bahnhofskopf angeschlossen. Die Bauarbeiten für den Tiefbahnhof Stuttgart, u.a. die Zufahrtstunnel zum Bahnhof am Nord- und Südkopf in offener Bauweise, sind bereits vergeben (300 Mio. EUR).
Zum Teilprojekt Stuttgart 21 gehören auch 9 Tunnel mit 33 km Länge bzw. 55 km Röhrenlänge, und zwar im Norden die Tunnel Bad Cannstadt (3,8 km) und Ober-/Untertürkheim (6 km), im Westen der Tunnel Feuerbach (3,2 km), sowie im Süden als längster der Fildertunnel (9,5 km) zum Flughafen (Bild 5) mit einem neuen unterirdischen Flughafenbahnhof und weiter in Richtung Wendlingen der Tunnel Denkendorf (700 m). Die Tunnel haben überwiegend 2 eingleisige Röhren, die durch Querschläge miteinander verbunden werden. Die Rohbauarbeiten für die Tunnel wurden inzwischen zu 90 % vergeben; die Inbetriebnahme ist 2020 geplant.
Zur im Süden anschließenden 60 km langen NBS Wendlingen-Ulm (250 km/h) gehören 4 Tunnel mit 30 km Gesamtlänge mit je 2 eingleisigen Röhren (Bild 6): im Norden der Albvorlandtunnel (8,2 km), anschließend der Boßler- und Steinbühltunnel (8,8/4,8 km), sowie vor Ulm der Albabstiegstunnel (5,9 km). In Anbetracht der inzwischen durchgeführten geologischen Untersuchung (quellfähiges und druckhaftes Gebirge sowie Verkarstungen) werden die Bauarbeiten zu diesen Tunnelbauwerken beginnen. Durch den Bau dieser Hochgeschwindigkeitsstrecke ist eine wesentliche Verringerung der Fahrzeit von Stuttgart nach Ulm von 54 auf 28 Minuten möglich.
Innovation und Kreativität zur Projektoptimierung im Tunnelbau
Nach Verleihung des Innovationspreises (letzter Abschnitt) berichteten die beiden Vorsitzenden des zweiten Halbtages eingangs über Innovation und Kreativität zur Projektoptimierung im Tunnelbau.
Nach Prof. Dr. Hans Georg Jodl von der TU Wien „brauchen Tunnelprojekte Kooperation“ in der Abwicklung, und zwar in der Zusammenarbeit von Personen oder Gruppen, im Vorhandensein eines gemeinsamen Ziels, Autonomie im Sinne der Entscheidungs- und Handlungsspielräume, aber gegenseitige Abhängigkeit bei der Zielerreichung, Bereitschaft und Wille zu einer fairen und offenen Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen, denn konsensuale Handlungen und Entscheidungen führen zu einem beidseitigem Nutzen. Für die Verständlichkeit eines Textes sind Einfachheit (statt Kompliziertheit), Gliederung/Ordnung (statt Unübersichtlichkeit/Zusammenhanglosigkeit) und Kürze/Prägnanz (statt Weitschweifigkeit)n verantwortlich.
Danach brachte Prof. Dr. Walter Purrer von der Universität Innsbruck Beispiele für die „Projektoptimierung als System“ mit Kooperation auf der Baustelle [7], wie Konfliktmanagement und Streitschlichtung, und forderte Vertrauen im System (Bild 7), den Zusammenhang von Denkmustern (ARS) und Vertragsregeln (CONSTRUCTIO) mit Qualität der Kooperation.
Im Zusammenhang mit mehreren nationalen und internationalen Bestrebungen, die „Kooperation im Bauwesen“ zu verbessern, hat eine Arbeitsgruppe der ITA Austria ein neues Vergabemodell für Infrastrukturprojekte (VIP) entwickelt, das zurzeit mit Vertretern von Auftraggebern abgestimmt und weiterentwickelt wird. Das VIP verfolgt als wesentliches Ziel eine Abkehr vom derzeit dominanten „Billigst-/Bestbieterprinzip“, bei dem qualitative Kriterien keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen; es legt ein höheres Gewicht auf qualitative Zuschlagskriterien und strebt an, den Zuschlag jenem Bieter zu erteilen, dessen Angebot den höchsten „Nutzen für die Gesellschaft“ hat.
Danach folgten Stellungnahmen aus Sicht der Auftraggeber (Asfinag), der Planer (ÖBA) und der Auftragnehmer (Alpine Bemo Tunneling) mit anschließender Diskussion mit zahlreichen Anregungen und kritischen Einwänden.
Weitere Einzelheiten über den 8. Österreichischen Tunneltag enthält Heft 6/2012 Geomechanik und Tunnelbau. Der nächste Österreichische Tunneltag wird am 8. Oktober 2014 wieder zusammen mit dem 63. Geomechanik-Kolloquium (9./11. Oktober 2014) in Salzburg/A stattfinden und davor der nächste World Tunnel Congress (WTC) vom 31. Mai bis 7. Juni 2013 in Genf/CH und am 9./11. Oktober 2013 das nächste Geomechanik-Kolloquium in Salzburg/A.
Innovationspreis
Tunneltag
Der Preis für Innovationen aus dem Bereich Tunnelbauplanung und -ausführung, der von weittragender praktischer Bedeutung für den Tunnelbau ist, wurde dieses Jahr zweimal vergeben (je 1500 Euro und Preisstatue), und zwar für
• Reduzierung von Sprengerschütterungen durch vereinfachte, nichtelektrische Sektorzündung im innerstädtischen Tunnelbau
• Alternativer Abdichtungsanschluss einer KDB-Abdichtung in Querschlägen an eine einschalig hergestellte abgedichtete Tübbingauskleidung mit einem Grundwasserdruck bis 6 bar.⇥G.B.
Literatur/References
[1] Österreichischer Tunneltag 2008. Tunnel 1/2009, pp. 55-60
[2] Österreichischer Tunneltag 2010. Tunnel 1/2011, pp. 41-49
[3] 50 Years of NATM – Experience Reports. 10/2012 mit 124 Abb./Tab. Und 283 Quellen; ITA, Wien. ISBN 978-3-200-028901-2
[4] Feldwisch, W.; Dreschler, O.; Flügel, M.; Lies, S.; Die Tunnel der Neuen und Ausbaustrecke Nürnberg-Erfurt-Leipzig/Halle. ETR 4/2010, pp. 186-196
[5] Hard-Working TBM breaks through at Pinglu Tunnel. Tunnel 1/2011, p. 13
[6] Azer, H.; Engel, B.: Stuttgart 21 und NBS Wendlingen-Ulm. Tunnel 7/2009, pp. 12-24 und 7/2010, p. 15
[7] Purrer, W.: Kooperation auf Baustellen. BrennerCongress 2012, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, pp. 59-68 – vgl. Tunnel 5/2012, pp. 45-47