Schweiz

Hochwasserentlastungsstollen Thun, Teil 2 – Druckluftarbeiten beim Hydroschildverfahren

Von Juli 2007 bis April 2008 wurde der rd. 1200 m lange Hochwasserentlastungsstollen Thun in den siltig-sandigen Schottern aufgefahren. Die stark abrasive Geologie führte zu einer großen Abnutzung der Werkzeuge auf dem Schneidrad, was umfangreiche Revisions-arbeiten zur Folge hatte. Bei Werkzeugkontrollen und -wechsel wurden insgesamt 438 Arbeitsstunden unter Überdruck von bis zu 2,6 bar geleistet. Auch aufgrund der speziell für die Baustelle erstellten Dekompressionstabellen für das Ausschleusen mit Sauerstoff waren keine Dekompressionsbeschwerden zu verzeichnen. In tunnel 7/2008, S. 27 ff., wurden die Herausforderungen beim Projekt Hochwasserentlastungsstollen Thun vorgestellt.

Notwendigkeit von Druckluftarbeiten
Beim Hydroschildverfahren sind Einstiege für das Bergen von Hindernissen, welche mit dem Schneidrad nicht abgebaut werden können, sowie die Kontrolle und Auswechslung der Abbauwerkzeuge erforderlich (Bild 1). Hindernisse können Anker, Stahlträger und Pfahlbewehrungen ehemaliger Baugruben, aber auch im Baugrund eingebettete größere Hölzer sein.
Beim Hochwasserentlastungsstollen Thun lagen auf rd. 50 m Vortriebslänge im Bahnhofsplatzbereich die Anker eines unterirdischen Parkhauses nur wenig über der Firste. Glücklicherweise wurden diese Anker damals plangemäß erstellt und es ragte keiner in den Stollenquerschnitt hinein. Ansonsten wurden auf der ganzen Vortriebsstrecke keine Hindernisse  von ehemaligen Baugruben angetroffen.
Drucklufteinsätze reduzieren die Vortriebsleistung und sind möglichst zu vermeiden. Daher wurde beim Auffahren des Hochwasserentlastungsstollens Thun mindestenswöchentlich jeweils gegen Schichtende eine Kontrolle der Abbauwerkzeuge durchgeführt. Aufgrund der abrasiven Geologie wurde das Intervall periodisch auch verkürzt. Zu den Werkzeugen zählen die Schälmesser, die Räumer und die Rollenmeißel. Diese bestehen jeweils aus einer auf die Grundkonstruktion aufgeschweißten Halterung und aus einem auswechselbaren Bauteil. Die Schälmesser und Räumer sind mit Hartmetalleinlagen und aufschweißungen versehen. Nach Möglichkeit muss eine Beschädigung der Halterungen vermieden werden, denn diese können nur mit aufwändigen Schweißarbeiten unter Druckluft repariert werden. In Thun konnten dank intensiver Kontrollen und großer Aufmerksamkeit des Personals Beschädigungen an den Halterungen gänzlich vermieden werden. Entsprechend war auch des Schneidrad nach dem Ausfahren in die Zielbaugrube in einem sehr guten Zustand.

Risiken bei Druckluftarbeiten
Durch die hohen Temperaturen, die Feuchtigkeit und das verringerte Schwitzen sind die Druckluftarbeiter einer größeren Hitzebelastung ausgesetzt, weshalb die Flüssigkeitsaufnahme besonders wichtig ist.
Die nitrosen Gase und Ozon, die beim Schweißen und Brennen entstehen, wirken im Überdruck erheblich gesundheitsschädlicher als unter atmosphärischen Bedingungen. Daher muss stets zusätzlich zur Belüftung des Arbeitsplatzes und zur örtlichen Rauchab­saugung eine von der Umgebungsluft unabhängige Atemluftversorgung für den Schweißer und den Schweißhelfer eingerichtet werden.
Giftige Dämpfe aus verunreinigtem Erdreich können zu Atembeschwerden führen und erfordern das Tragen von Atemluftmasken. Weitere Risiken bestehen durch die starke Arbeitsbelastung, die eingeschränkte Kommunikation zwischen Schleusenwärter und Druckluftarbeiter, Verletzungen durch Klettern und Heben und nicht zuletzt bei Ausbläsern, welche bei Druckverlusten eine plötzliche Dekompression erfordern.

Betriebskonzept
Rechtsgrundlagen
Für Druckluftarbeiten in der Schweiz gelten – wie für alle Arbeiten – übergeordnet die „Verordnung über die Unfallverhütung“ und die „Bauarbeitenverordnung“. Im Speziellen ist die „Verordnung über die technischen Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten bei Arbeiten unter Druckluft“ von 1961 zu beachten. Diese ist in einigen Bereichen überholt und spiegelt nicht mehr den Stand der Technik wider, sie ist jedoch nach wie vor anwendbar. So sind in der Verordnung beispielsweise nur Auftauchtabellen für Taucher und nicht für eigentliche Druckluftarbeiten enthalten.
In der Praxis wird zwar die aktuelle schweizerische Verordnung angewandt, zusätzlich werden aber verschärfte Teile ausländischer Vorschriften beigezogen. Dies erfolgt in gegenseitiger Absprache mit der SUVA. So wird in der Regel die deutsche Druckluftverordnung von 1972 verwendet. Mit 36 Jahren entspricht dieses Werk auch nicht mehr dem heutigen Stand. Da die Druckluftverordnung verhältnismäßig wenige Personen betrifft, hat Deutschland anstelle einer aufwändigen Überarbeitung der Verordnung im Jahre 2003 in der RAB 25 (Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen) mit einer Konkretisierungzur Druckluftverordnung den Stand der Technik wiedergegeben.
Die deutsche Druckluftverordnung und die RAB 25 beschreiben die verschiedenen medizinischen, technischen und betrieblichen Sicherheitsmaßnahmen gegen physiologische Gefahren durch Überdruck. Die medizinischen Maßnahmen beinhalten u. a. die ärztliche Vorsorgeunter
suchung, die Altersbeschränkung, die ärztliche Überwachung sowie das Führen einer Gesundheitskartei. Die wichtigsten betrieblichen Maßnahmen umfassen die Begrenzung des Überdrucks, die Anzeigepflicht, Prüfungen, die Benennung von Fachpersonal, die Belehrung und das Durchführen von Probeschleusungen, das Führen eines Schleusenbuchs und die Erstellung einer Betriebsanweisung. Zu den technischen Maßnahmen gehören u. a. getrennte Schleusen für Personen und Material, eine ausreichend dimensionierte Kompressorstation, eine Notstromversorgung, eine redundante Luftzuleitung, Filteranlagen für Sauerstoffversorgung, Sprechverbindungen zwischen allen wichtigen Betriebspunkten sowie geeignete Feuerschutzeinrichtungen.

Umsetzung der Rechtsgrundlagen ins Betriebskonzept
Das Betriebskonzept für Druckluftarbeiten beim Bau des Hochwasserentlastungsstollens Thun basierte auf den Erfahrungen der Projekte Skymetro auf dem Flughafen Zürich, SBBBahntunnel Zürich–Thalwil und Oenzbergtunnel der SBBNeubaustrecke Mattstetten–Rothrist. Nebst den veralteten schweizerischen und deutschen Verordnungen wurde auch die RAB 25 berücksichtigt. Weiter diente die „Vorgabe für die sicherheitstechnische Dokumentation von Untertagarbeiten unter Druckluft“ der SUVA als Grundlage.
Bei den erwähnten Projekten erfolgte die Dekompression mit Druckluft und den Tauchtabellen von Dr. med. Bühlmann des Universitätsspitals Zürich. Die Verwendung von medizinischem Sauerstoff als Dekompressionsgas ist heute Stand der Technik und gilt in Deutschland als Pflicht. Druckluft ist nur bei kurzzeitigen Einstiegen oder in Ausnahmefällen zugelassen. Deshalb hat sich die Arge entschieden, die Ausschleusung auch mit medizinischem Sauerstoff durchzuführen. Weil der Sauerstoff den Stickstoff aus dem Körper verdrängt, treten mit diesem Dekompressionsgas erfahrungsgemäß weniger Beschwerden auf.
Für die Beratung und Erarbeitung des Betriebskonzepts wurden zudem mit dem Druckluftarzt Dr. med. KarlPeter Faesecke, Hamburg/D, und Claus Mayer von der Nordseetaucher GmbH, Ammersbek/D, 2 ausgewiesene Spezialisten beigezogen.
Während die SUVA in der Schweiz das Vorhalten einer Behandlungskammer vor Ort nicht vorschreibt, ist dies in einigen europäischen Ländern und den USA Pflicht. In der Schweiz sieht die gängige Praxis vor, Druckluftarbeiter mit Dekompressionsbeschwerden mit der Schweizerischen Rettungsflugwacht REGA nach Basel oder Lausanne zu transportieren und dort in den beiden einzigen noch vorhandenen Druckkammern zu behandeln. Bis Ende der 1990er Jahre war im Universitätsspital Zürich ebenfalls eine Behandlungskammer verfügbar, welche mittlerweile aber aus Kostengründen stillgelegt wurde.
Eine auf der Baustelle vorhandene Behandlungskammer würde das Vertrauen der Mitarbeiter in die Sicherheitsvorkehrungen zusätzlich stärken. Der mit Stickstoff teilgesättigte menschliche Organismus, in dem bereits Gasblasen entstanden sind (Symptome der Druckluftkrankheit), sollte nicht zusätzlichen Erschütterungen wie im Fahrzeug oder Hubschrauber ausgesetzt werden, weil dadurch die Blasenentstehung gefördert wird. Eine Behandlungskammer vor Ort kann auch für die Probeschleusung benutzt werden.
Gegenüber einer externen klinischen Einrichtung ist das erfahrene medizinische Personal auf der Baustelle mit den spezifischen Symptomen und Anzeichen der Druckfallkrankheit nach Arbeit in Druckluft vertraut und wird eine individuell abgestimmte Therapie unverzüglich einleiten. Die Hemmschwelle der Mitarbeiter vor dem Aufsuchen einer medizinischen Einrichtung ist bei deren Einbindung in die Baustelle deutlich niedriger gegenüber einer externen. Sie bleiben in ihrer gewohnten Umgebung und werden von vertrauten Kollegen betreut.
In Absprache mit der SUVA verzichtete die Arge auf das Vorhalten einer Behandlungskammer. Um Dekompressionsbeschwerden möglichst vermeiden zu können, wurden die Ausschleuszeiten entsprechend konservativ angesetzt.
In Zusammenarbeit mit den 3 deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) ist die gemeinsame Erarbeitung eines Grundlagenpapiers im Sinne der fachmedizinischen und technischen Vorbereitung von angepassten gesetzlichen Vorschriften in den jeweiligen Ländern im Gange. Insbesondere aufgrund der Frage der Notwendigkeit des Vorhaltens einer Druckluftkammer vor Ort wäre es sehr zu begrüßen, wenn dieses Projekt forciert würde.

Dekompressionstabellen
Weil die schweizerische Verordnung keine und die deutsche nur veraltete Dekompressionstabellen für das Ausschleusen mit Sauerstoff enthält, wurden für die Druckluftarbeiten beim Bau des Hochwasserentlastungsstollens in Thun durch Dr. med. KarlPeter Faesecke spezielle Tabellen ausgearbeitet.
Wegen der Höhenlage, der zu erwartenden Arbeitsschwere bei Druckluftarbeiten in der TVM und des Fehlens einer Rekompressionsmöglichkeit vor Ort wurde die maximale Arbeitszeit in Überdruck auf 3 Stunden und die längste Ausschleu­sung auf 1 Stundelimitiert (Bild 2).
Abhängig von Druck und Zeit erreicht das menschliche Gewebe bei Überdruckexposition eine zusätzliche Stickstoffsättigung. Dieser Stickstoffüberschuss kann in engen physiologischen Grenzen vom Organismus beim Übergang zum Normaldruck kontrolliert über die Lunge wieder abgegeben werden. Dabei sind bestimmte Druckstufen (Haltestufen) für tabellarisch festgelegte Mindestzeiten einzuhalten, auf denen das Dekompressionsgas Sauerstoff geatmet wird.
Bis zu einem Arbeitsdruck von 1,9 bar wurde eine Aufenthaltszeit von max. 180 Minuten zugelassen, und entsprechend sind die Druckstufen für Aufenthaltszeiten in Überdruck während 30, 60, 120 und 180 Minuten angegeben (Bild 3). Bei einem Arbeitsdruck ab 2,0 bar wurde die Aufenthaltszeit auf 120 Minuten begrenzt, um Dekompressionsbeschwerden möglichst vermeiden zu können (Bild 4).
Der Schleusenwärter stoppt die Zeit ab dem Einstieg und informiert die im Überdruck arbeitenden Personen laufend über die Zeitreserve, denn die maximale Aufenthaltszeit darf keinesfalls überschritten werden. Bei einem Arbeitsdruck von 2,4 bar und einer Aufenthaltszeit von 110 Minuten wird mit den Druckstufen der nächsthöheren Aufenthaltszeit von 120 Minuten ausgeschleust. Während der ersten 8 Minuten steigen die in der Hauptkammer sitzenden Arbeiter von 2,2 auf 1,0 bar auf. Anschließend ziehen die Personen die Masken an und atmen während der folgenden 21 Minuten medizinischen Sauerstoff ein. Ab Aufenthaltszeiten von über 15 Minuten werden die Masken beim zweiminütigen Aufstieg von 1,0 auf 0,5 bar abgezogen. Mit dieser Erholungsphase werden das Bewegen der Maske während der Sauerstoffatmung und das unerwünschte Austreten von Sauerstoff in die Schleuse vermieden. Nach weiteren 21 Minuten können die Masken entfernt und der Druck auf 0 bar reduziert werden. Dies ergibt eine Ausschleusungszeit von 52 Minuten und eine Gesamtarbeitszeit von knapp 3 Stunden in Überdruck. Analog zum Untertagezuschlag erhalten die Arbeitnehmer eine Zusatzentschädigung für die Druckluftarbeiten.
 
Sicherheitsplan
Der Sicherheitsplan ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Arbeiten im Vortrieb. Die Poliere tragen den aktuellen Stand des Vortriebs immer nach und können sich somit orientieren, welche Hindernisse mit welcher Überdeckung gerade unterfahren werden.
Im Stützdruckband ist der erforderliche Stützdruck in der Abbaukammer für niedrigen und hohen Grundwasserstand angegeben. Der erforderliche Druck des Luftpolsters geht aus der Stützdruckberechnung hervor, die aus den Elementen Geologie, Überdeckung, Grundwasserstand sowie ständige (z. B. Häuser) und veränderliche Lasten (z. B. Verkehr) erarbeitet wurde. Die Berechnung erfolgte in 28 verschiedenen Querschnitten. Dazwischen werden die Werte für die Einstellung der Druckluftregelanlage auf der TVM linear interpoliert. Mit der Erstellung der Stützdruckberechnung wurden Prof. Dr. Markus Thewes von der RuhrUniversität Bochum/D und das Ingenieurbüro Zerna aus Bochum/D beauftragt.
Für das Ausführen von Druckluftarbeiten muss die Bentonitsuspension in der Arbeits und Abbaukammer abgesenkt werden. Im Sicherheitsplan sind die Werte des Stützdrucks und der Ausbläsersicherheit für die verschiedenen Absenkniveaus aufgeführt. Dabei wird zwischen Drittel, Halb, Zweidrittel und Vollabsenkung unterschieden. Für Werkzeugkontrollen wird normalerweise halb abgesenkt, während für das Auswechseln der Abbauwerkzeuge zwei Drittel mit Druckluft versehen sind. Eine Vollabsenkung wird nur für Reparaturen am Steinbrecher benötigt und war in Thun nie erforderlich.
Als weitere Information ist aus dem Sicherheitsplan ersichtlich, in welchen Bereichen Einstiege nicht zulässig sind. Sei dies aufgrund der Berechnungen von Stützdruck und Ausbläsersicherheit oder beim Unterfahren von Infrastrukturbauten wie Bahnlinie und Straßenunterführungen mit hohen Anforderungen an die Betriebssicherheit.

Personalbedarf für Drucklufteinsatz
Grundlagen
Für den reibungslosen und sicheren Ablauf eines Einsatzes unter Überdruck sind Teams von je 3+1+1 erforderlich. Die Aufgaben sind wie folgt verteilt:
- 3 Druckluftarbeiter/techniker: Ausführung Arbeit, Zudiener, Verbindung zu Schleusenwärter
- 1 Schleusenwärter/Kammerfahrer
- 1 Einsatzleiter/Befähigungsscheininhaber.

Der Schleusenwärter ist für das Ein und Ausschleusen von Personen in die Arbeitskammer verantwortlich. Er fährt die Schleuse von außen und führt ein Schleusenbuch (Bild 5). Während des Einschleusens behält er die geschleusten Personen ständig im Auge. Alle Mitarbeiter haben den Anweisungen des Schleusenwärters zu folgen, auch die Vorgesetzten. Auf der Baustelle müssen 2 Befähigungsscheininhaber anwesend sein: der Einsatzleiter und sein ständiger Stellverteter.

Umsetzung
Als Befähigungsscheininhaber leitete der Baustellenchef oder sein Vertreter die Drucklufteinsätze. Die Schleusenwärter und die Druckluftarbeiter konnten aus dem Vortriebspersonal der Arge rekrutiert werden. Schleusenwärter müssen zuverlässig sein und in der Schicht auf großes Vertrauen zählen können. Nebst den beiden Polieren wurden 2 Tunnelbauer als Schleusenwärter geschult. Alle Mitarbeiter hatten beim von der SUVA ermächtigten Arzt Dr. med. Thomas Toth in Thun eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung zu absolvieren. Für Drucklufteinsätze standen so 3 Ingenieure, 1 Polier und 10 Arbeiter zur Verfügung. Vor dem ersten Einsatz mussten sich alle Mitarbeiter einer Probeschleusung unterziehen. Denn auch nach erfolgreich absolvierter Vorsorgeuntersuchung kann es sein, dass jemand den Druckausgleich nicht machen kann oder sich aus psychischen Gründen in den engen Schleusen nicht wohl fühlt. Schlussendlich basiert das Bestreiten von Druckluftarbeiten auf Freiwilligkeit. Jemanden zu verpflichten, wäre der falsche Weg, denn in der Druckluft müssen sich die Mitarbeiter im Dreierteam aufeinander verlassen können.
Vor Aufnahme der Vortriebsarbeiten wurden der Kader sowie die Schild und Erektorfahrer auf der Baustelle während 3 Halbtagen in die Druckluftarbeiten eingeführt und erlangten den Ausweis „Techniker für Arbeiten in Überdruck“. In 2 Halbtagen bestritt Claus Mayer den betrieblichen und technischen Teil, während Dr. med. KarlPeter Faesecke am dritten Halbtag die arbeitsmedizinischen Aspekte aufzeigte.

Einrichtungen für Druckluftarbeiten
Um in Arbeitsräume mit einer Druckluftatmosphäre zu gelangen, müssen Personen und Werkzeuge Schleusen passieren, in denen der Luftdruck im Arbeitsbereich erhöht wird. Bei einem Überdruck ab0,1 bar spricht man von Arbeiten in Druckluft. In Thun betrug der maximal erforderliche Überdruck bei Einstiegen 2,6 bar. Die Personenschleuse mit einem Betriebsdruck von 3,0 bar und einem Prüfdruck von 4,5 bar besteht aus einer Eingangs und einer Hauptkammer (Bild 6). Bei der in Thun eingesetzten Maschine sind die beiden Kammern nebeneinander angeordnet und durch eine Zwischentüre verbunden.
Die Druckluftanlage beinhaltete u. a. 5 Elektrokompressoren, welche eine verfügbare Luftmenge von 72 m3/min lieferten, etwas mehr als die doppelte Ausbruchfläche (Bild 7). Die Druckluft wurde in 4 Windkesseln mit total 42 m3 Inhalt zwischengespeichert. Nach dem Erzeugen der komprimierten Luft musstediese zwingend entwässert und entölt werden, wozu Kältetrockner sowie Öl, Wasser, Partikel und Aktivkohlefilter eingesetzt wurden. Die Kältetrockner und Filterstraßen wurden wie die in den Stollen führenden Druckluftleitungen aus Sicherheitsgründen redundant montiert. Da die Druckluftproduktion auch bei einem Stromunterbruch gewährleistet werden musste, wurden Notstromaggregate mit Netzausfallautomatik installiert.
Auf der TVM wurde eine mobile Sauerstoffanlage eingesetzt, da kein Dauerbetrieb gewährleistet werden musste. Die Anlage bestand aus den Ein und Ausatemluftkoffern sowie den Sauerstoffversorgungs und Atemluftentsorgungsschläuchen (Bild 8). Vor einem Drucklufteinsatz wurden die Bündel mit medizinischem Sauerstoff zum Nachläufer gefahren.

Ablauf der Druckluftarbeiten
Vorbereitung
Die Druckluftarbeiten wurden nach dem Ablaufschema in Bild 9 durchgeführt. In der Vorbereitungsphase wurden die Rettungskräfte Druckluftarzt, örtlicher Arzt und REGA informiert. Die REGA bestätigte dabei die Verfügbarkeit mindestens einer Behandlungskammer in Basel oder Lausanne. War dies nicht der Fall, wurden die Druckluftarbeiten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Weiter wurde das Material bereitgestellt und kontrolliert und aufgrund des benötigten Absenkniveaus der erforderliche Arbeitsdruck festgelegt.

Einschleusen
Der Schleusenwärter kontrollierte die Einsatzfähigkeit des Personals, den Arbeitsdruck, die Schleuszeiten etc. und führte das Schleusenbuch nach. Die Verbindung mit dem eingeschleusten Personal wurde mit dem Festnetztelefon sichergestellt. Über dieses konnten direkt von der Schleuse aus der Druckluftarzt kontaktiert oder die Rettungskräfte aufgeboten werden. Bei einem Ausfall würde das netzunabhängige Nottelefon zur Verfügung stehen (Bild 10).
Vor dem Einschleusen wird die Stützflüssigkeit durch Frischbentonit ersetzt, damit ein möglichst guter Filterkuchen auf der Ortsbrust aufgebaut werden kann und die Druckluft nicht entweichen kann. Anschließend wird in den Abbau und Arbeitskammern die Stützflüssigkeit abgesenkt und der erforderliche Stützdruck über die Druckluftregelanlage eingestellt.
Der zu schnelle Übergang vom Normal zum Überdruck kann zu akuten Krankheitserscheinungen wie Ohren, Kopf und Zahnschmerzen sowie Gleichgewichtsstörungen führen. Auch eine Behinderung des Druckausgleichs (z. B. bei Erkältung) zu luftgefüllten Hohlräumen (z. B. Nasennebenhöhle, Paukenhöhle, MagenDarmTrakt, schlechte Zahnfüllungen) kann Beschwerden hervorrufen. Deshalb muss der Schleusenwärter jeden Mitarbeiter vor dem Einstieg den Druckausgleich testen lassen.
Atemluft ist ein Gemisch mit den wesentlichen Bestandteilen Sauerstoff und Stickstoff. Durch Komprimierung nehmen die Moleküle pro Volumen zu. So sind bei einem Umgebungsdruck von 2 bar dreimal mehr Moleküle als bei athmospärischem Druck vorhanden. Dabei hat die Zunahme des Sauerstoffs keinen Einfluss auf den menschlichen Körper. Die Körpergewebe werden mit dem für den Stoffwechsel notwendigen Sauerstoff versorgt. Dieser schleppt den Stickstoff mit sich. Der Stickstoff löst sich physikalisch in allen Geweben, denn diese bestehen aus Wasser. Die Löslichkeit ist abhängig von der Kreislaufsituation: dem Druck, der Dauer der Exposition, der Belastung und der spezifischen Löslichkeit. Auf neuem Druckniveau beginnt nun eine Aufsättigung aller Körpergewebe mit Stickstoff, wobei dieser sich bis zur vollständigen Sättigung lösen kann. Dabei bestehen erhebliche Unterschiede in der Stickstoffaufnahmefähigkeit verschiedener Gewebe.

Ausführung der
Druckluftarbeiten
Beim ersten Einstieg im Rahmen eines mehrschichtigen Drucklufteinsatzes mussten vor Aufnahme der Arbeiten die Abbaukammer und das Schneidrad gereinigt werden. Für ein sicheres Begehen der Kammer wurden Podeste und Leitern in die dafür vorgesehenen Halterungen montiert. Anschließend konnten Werkzeugkontrollen oder wechsel ausgeführt werden (Bild 11). Das Drehen des Schneidrads konnte dabei vom Verbindungsmann in der Schleusenhauptkammer vor Ort erfolgen.
Vor der Bahnunterquerung mussten unter einem ehemaligen Tanklager die Werkzeuge kontrolliert werden. Doch unmittalbar nach dem Öffnen des Druckwandschiebers wurde ein stark ölhaltiger Geruch festgestellt, worauf sich die Mannschaft wieder ausschleuste. Mit speziellen Atemmasken konnte dann die Kontrolle ordnungsgemäß durchgeführt werden. Schälmesser und Räumer werden visuell und Rollenmeißel mithilfe einer Schablone kontrolliert (Bild 12).
Die stark abrasive Geologie führte zu einer weitaus größeren Abnutzung der Werkzeuge als erwartet. Bei Werkzeugkontrollen und wechsel wurden insgesamt 438 Arbeitsstunden unter Überdruck von bis zu 2,6 bar geleistet. Dank der intensiven und seriös durchgeführten Kontrollen konnten Beschädigungen an den Werkzeughalterungen vermieden werden. In einem Bereich im sandigen Schotter wurden die Werkzeuge nach einem erfolgten Wechsel auf wenigen Vortriebsmetern stark abgeschliffen. Mit 3 Druckluftschichten wurden in 5 Arbeitstagen 42 Schälmesser, 10 Rollenmeißel und 8 Räumer ausgewechselt. Um Zeit gewinnen zu können, wurden für den Wochenendeinsatz Drucklufttechniker der Nordseetaucher GmbH aufgeboten, welche innerhalb 24 Stunden vor Ort waren. Allfällige Schweißarbeiten unter Druckluft wären auch durch diese spezialisierten Arbeiter ausgeführt worden, da die Belegschaft der Arge dazu nicht ausgebildet und ausgerüstet war.
Die rd. 170 kg schweren Rollenmeißel müssen vom Ringbaubereich mit Kettenzügen in die Materialschleuse gehoben werden. In der Arbeits und Abbaukammer konnten die Werkzeuge ebenfalls mit Kettenzügen in die richtige Position transportiert werden. Je nach Zustand der Schrauben und Keile dauerte der Wechsel eines Meißels gut 120 Minuten, was einer maximalen Aufenthaltszeit unter Druckluft bei einem Arbeitsdruck über 2,0 bar entspricht. Bei mehreren hintereinander folgenden Drucklufteinstiegen wird der Bentonitspiegel in der Abbaukammer nicht jedes Mal wieder angehoben, um keine Zeit für die Demontage der Leitern und Podeste sowie der Reinigung beim erneuten Einstieg zu verlieren. Wenn der Filterkuchen auszutrocknen beginnt und die Druckluft in den Boden entweicht, muss die Ortsbrust zur Gewährleistung der Stabilität zwischen 2 Einstiegen wieder mit Bentonit benetzt werden. In Thun lag der Luftverbrauch bei versiegelter Ortsbrust bei rd. 10 bis 15 m3/min. Stieg dieser auf über 30 m3/min an, wurde das Bentonitniveau wieder angehoben. Beim Einblasen einer hohen Luftmenge ist die Verständigung wegen des starken Lärms nicht mehr möglich.
Rettung von Verunfallten in Überdruck. Bei Unfällen in der Arbeits oder Abbaukammer im Überdruckbereich ist eine Rettung aus eigener Kraft nicht möglich. So haben die beiden Arbeitskollegen des eingestiegenen Dreierteams den Verunfallten zu bergen und gemäß Ablaufschema eine Lagebeurteilung vorzunehmen (Bild 9). Bei einem leichten Ereignis wird der Verunfallte in der Arbeitskammer oder der Personenschleuse versorgt. Um eine effiziente ErsteHilfeLeistung zu ermöglichen, hatten die Mitarbeiter beim Samariterverein Thun einen Kurs absolviert und kurz nach Vortriebsbeginn wurde unter fachkundiger Aufsicht eine Rettungsübung durchgeführt.
Bei einem schweren Unfall muss der Verletzte nach Rücksprache mit dem Druckluftarzt ausgeschleust werden, was aufgrund der engen Platzverhältnisse äußerst schwierig sein kann. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass die Blutung im Überdruck infolge verdünnten Bluts massiv stärker ist als unter Athmosphärendruck. Je nach Verletzung können auf Anordnung des Druckluftarztes auch weitere Helfer eingeschleust werden. Nach der Dekompression erfolgt der Transport ins Freie und zum Spital nach Angaben des Druckluftarztes.
3 Kadermitarbeiter des Rettungsdienstes STS AG hatten die „Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung für Arbeitnehmer Druckluft“ der SUVA durchlaufen, womit für allfällige Rettungseinsätze in der Überdruckkammer rund um die Uhr eine professionelle medizinische Versorgung zur Verfügung gestanden hätte.

Ausschleusen
Das Ausschleusen erfolgt unter normalen Bedingungen nur über die Hauptkammer (Bild 6). Die Eingangskammer bleibt dabei stets drucklos, damit im Notfall ein Ersthelfer jederzeit eingeschleust werden kann. Die gelösten Gase müssen beim Ausschleusen über das Kreislaufsystem und die Lunge wieder ausgeschieden werden, was Zeit erfordert. Die Dauer der Dekompression ist abhängig von der Arbeitstiefe und der Zeit, die unter Druckluft verbracht wurde, sowie dem Dekompressionsgas (Luft oder Sauerstoff). Die Dekompression findet stufenweise statt und wird unterhalb von 1 bar durch Sauerstoff unterstützt (Bild 13). Dadurch wird das Druckgefälle vergrößert und die Dekompressionszeit nimmt um bis zu 50 % ab. Für die Stickstoffentsättigung darf der Ausstoßvorgang nicht zu schnell sein. Bis aller Stickstoff aus dem Körper ist, vergehen rd. 24 Stunden.
Der Körper toleriert eine gewisse Stickstoffübersättigung. Ist die Dekompression unzureichend oder findet sie zu schnell statt, können sich im Körper Stickstoffblasen bilden. Die dadurch auftretenden Gasembolien sind die häufigste Ursache der durch Arbeit im Überdruck entstehenden Schädigungen. Außerdem kann die Freisetzung von Gasen innerhalb der Zellen vorübergehende oder bleibende Gewebeschäden verursachen. Sie können schon während der Druckminderung, aber auch Stunden danach auftreten.
Prinzipiell müssen alle Formen von Dekompressionsbeschwerden (Kasten) unverzüglich mit Rekompression und Sauerstoffatmung behandelt werden. Dies erfolgt in einer Behandlungskammer bei einem Minimaldruck von 1,2 bar für leichte Fälle.
Unter Anwendung der Sauerstoffdekompression konnte die Häufigkeit von Dekompressionserkrankungen signifikant gesenkt werden. Voraussetzung für solche Ergebnisse ist jedoch der sichere Umgang mit Sauerstoff. Die fortlaufende Analyse der Kammerluft als primäre Brandschutzmaßnahme ist ebenso zwingend wie die unbedingte Einhaltung
der Expositionsgrenzen für Sauerstoff nach Druck und Zeit. Sauerstoff ist ein Medikament mit der Gefahr einer gefährlichen Überdosierung. Die Einbindung eines fachkundigen ermächtigten Arztes in die Überwachung der Druckluftexpositionen schützt auch bei notfallmäßigen Überschreitungen der Expositionsgrenzen vor den Gefahren einer Sauerstoffvergiftung.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kann es vorkommen, dass während der Ausschleusung Krankheitserscheinungen auftreten. Zeigt eine Person solche Dekompressionsbeschwerden an, so muss der Ausschleusvorgang sofort unterbrochen und auf der momentanen Druckstufe geblieben werden, bis die Symptome verschwunden sind. Ist dies nach einigen Minuten nicht der Fall, so muss der Druck in der Schleuse wieder auf den vorherigen Druck erhöht werden. Der Schleusenwärter benachrichtigt den Druckluftarzt und schleust den Kranken besonders vorsichtig nach Angaben desselben aus. Anschließend sind die entsprechenden
Behandlungsmaßnahmen wie Erste Hilfe oder Transport in die Behandlungskammer zur Rekompression auszuführen.

Nach dem Ausschleusen
Nach dem Ausschleusen ist eine körperliche Belastung während mindestens einer Stunde möglichst zu vermeiden. Treten nach Abschluss der Arbeiten Symptome von Dekompressionsbeschwerden auf, sind gemäß Ablaufschema die Kadermitarbeiter und der Druckluftarzt zu informieren (Bild 9). Dieser entscheidet, ob ein erneutes Einschleusen und langsames Ausschleusen auf der Baustelle erfolgt oder ob die REGA aufgeboten und die Person in eine Behandlungskammer nach Basel oder Lausanne transportiert wird.
Beschwerden treten zu 90 % in unteren Extremitäten, v. a. in Gelenken und weniger in Muskeln auf. Durch das Sitzen in der engen Personenschleuse findet in den Beinen keine Durchblutung statt. Das Blut steht und nach dem Ausschleusen wird dieses beim Gehen in Bewegung gesetzt. Damit werden die Schmerzen erst spürbar. Die Dauer bis zum Auftreten der Beschwerden kann je nach Erfahrung bis zu 14 Stunden betragen. Jene zum Aufsuchen der stationären Behandlungskammer beträgt bis zu 23 Stunden nach dem Ausschleusen.
Nach Möglichkeit wurden am Freitag vor der Heimreise Druckluftarbeiten vermieden. Die deutsche Druckluftverordnung schreibt vor, dass bei Arbeiten in Druckluft bei einem Arbeitsdruck von mehr als 1 bar vor einer Entfernung von der Arbeitsstelle, die länger als 12 Stunden dauert, 90 Minuten Wartezeit einzuhalten sind.
Für den Fall, dass dennoch Dekompressionsbeschwerden auftreten, wurde den Druckluftarbeitern eine Notfallkarte gegeben.
Auswertung der Drucklufteinsätze In Bild 14 sind die Schleusungen der 3 häufigsten Druckbereiche bei 1,6, 1,9 und 2,2 bar aufgezeichnet. Auf der xAchse ist die Aufenthaltszeit in Überdruck und auf der yAchse die Ausschleusungszeit jeweils in Minuten aufgetragen. Alle Expositionen sind oberhalb der vorgegebenen Ausschleusungsachse geblieben, d. h., es gab keine fehlerhafte Schleusenbedienung – ein Lob den Schleusenwärtern. Im Weiteren ist ersichtlich, dass die theoretisch möglichen Maximalzeiten von 120 Minuten bei 2,2 bar sowie 180 Minuten bei 1,6 und 1,9 bar voll ausgenutzt wurden. Die bisherigen Drucklufttabellen berücksichtigten nur den Dekompressionsaspekt bei maximaler Aufenthaltsdauer, nicht aber die endliche Belastbarkeit der Druckluftarbeiter. Dies wurde beim Bau des Hochwasserentlastungsstollens Thun mit dem Erfolg geändert, dass keine Druckluftbeschwerden aufgetreten sind.


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