Risikominimierung durch komplexes Grundwassermanagement-System bei der „Noord Zuidlijn Amsterdam“
Die historische Innenstadt Amsterdams soll mit der neuen 9,7 km langen Metro Noord/Zuidlijn an die nördlichen und südlichen Stadtteile angebunden werden. Der folgende Beitrag betrachtet das komplexe Grundwassermanagement dieses Projekts.
Projekt Noord Zuidlijn
Amsterdam baut eine neue Metro-Linie, die „Noord/Zuidlijn“ (Nord/Süd-Linie). Das Herz von Amsterdam, die historische Innenstadt, soll mit dieser Verbindung direkt an die nördlichen und südlichen Stadtteile angebunden werden. Mit einer Gesamtlänge von 9,7 km verläuft die Metro, von Norden aus gesehen, über die Stationen Buikslotermeerplein, Johan van Hasseltweg, Centraal Station, Rokin, Vijzelgracht, Ceintuurbaan und Europaplein zur Station Zuid/WTC. In Bild 1 ist der Streckenverlauf dargestellt.
Die beiden nördlichen Stationen werden oberirdisch erstellt. Im weiteren Verlauf wird die Strecke über 7,5 km, davon 3,8 km bergmännisch aufgefahren, unter dem IJ, der Centraal Station sowie der Innenstadt bis zum Europaplain unterirdisch verlaufen. Die abschließende Station Zuid/WTC besteht bereits und bietet wie die Centraal Station Umsteigemöglichkeiten zu den bestehenden Amsterdamer Metros sowie Regional- und Fernverkehrszügen. Im April 2003 wurde mit der Ausführung begonnen. Die ersten Bahnen werden voraussichtlich im Jahre 2017 die Strecke passieren können.
Station Vijzelgracht
An der Station Vijzelgracht ist die Hölscher Wasserbau GmbH mit dem Grundwassermanagement beauftragt. Vijzelgracht zählt neben Rokin und Ceintuurbaan zu den tiefsten Stationen (ca. 30 m Aushubtiefe) der Strecke. Die ca. 18 m breite Metrostation erstreckt sich über eine Länge von 270 m. Bild 2 zeigt einen Längsschnitt der geplanten Metrostation.
Es ist eine Schlitzwandbox erstellt worden, deren Elemente bis in eine Tiefe von ca. 45 m abgeteuft wurden. Die Schlitzwände sind wechselseitig mit einhergehender Umlegung des Verkehrs errichtet worden. Um den Straßenverkehr über die Bauzeit aufrecht erhalten zu können und die Umgebung nicht übermäßig zu beeinflussen, wurde die Deckelbauweise ausgewählt. Unter dem stetigen Aushub in der Baugrube wurden Aussteifungslagen sowie die planmäßige Zwischendecke eingebaut. Nach dem Aushub auf die finale Tiefe werden die Tunnelbohrmaschinen die Vijzelgracht passieren. Im Endzustand sollen in der Station auf der untersten Ebene die Bahnen der Metro verkehren. Der Raum über der eigentlichen Metrohaltestelle soll teilweise eventuell als automatisierte Parkgarage genutzt werden.
Geologie
Im Zentrum der Stadt Amsterdam im Bereich der Station bzw. Baugrube Vijzelgracht stehen maritim sedimentierte Lockergesteine in folgender Abfolge an:
• Oberflächenniveau ca. 1,0 m NAP („Normaal Amsterdams Peil“, entspricht m ü. NN)
• bis zu einer Tiefe von - 2,0 m NAP Anfüllung
• bis - 4,5 m NAP Hollandveen
• bis - 7,0 m NAP Oude Zeeklei
• wechsellagige Meeressedimente bis - 12,5 m NAP
• bis - 14,0 m NAP 1. Sandschicht
• bis - 17,5 m NAP Alleröd-Sedimente
• bis - 26,0 m NAP die 2. Sandschicht
• bis - 28,5 m NAP Übergangsschicht
• dann die entscheidende Meeresablagerung als nahezu undurchlässige Schicht des sogenannten Eemkleis bis zur Basis von - 40,0 m NAP im Norden und
• - 41,0 m NAP im Süden der Baugrube.
Die unterliegende Zwischensandschicht mit einer Schichtdicke von nur 0,5 bis 1,5 m stellt als gespannter und gering wasserführender Grundwasserleiter ein großes Gefährdungspotenzial für einen hydraulischen Grundbruch dar. Der Durchlässigkeitsbeiwert kf liegt im Mittel bei 10-5 bzw. in den Grenzbereichen zwischen 2 x ∙10-6 bis 2 x ∙10-5. Bei der Zwischensandschicht handelt es sich geotechnisch um einen Feinstsand mit 15 bis 20 % Schluffanteilen.
Darunter stehen die glazialen Drenthekleie und Warvenkleie in einer Gesamtmächtigkeit von 9,0 m an, bevor die Wasser führende und gespannte 3. Sandschicht beginnt. Die Bodenschichtung ist mit dem Bauwerksquerschnitt in Bild 3 dargestellt.
Aufgabenstellung
Die mit dem vorhandenen Meßstellennetz ermittelten Ruhewasserstände der Zwischensandschicht liegen im Norden bei - 10,0 m NAP und im Süden bei - 17,0 m NAP. Im 2. artesischen Aquifer, der 3. Sandschicht, sind Druckhöhen von - 2,5 m NAP festgestellt worden. Die hydrogeologische Situation wird in Bild 3 verdeutlicht.
Diese Wasserstände führen bei dem erforderlichen Maximalaushub bis - 32,0 m NAP zu einer Grundbruchgefahr. Das Grundwassermanagement der Hölscher Wasserbau GmbH umfasst die im Bauprozess vorgesehene Entspannungswasserhaltung der Zwischensandschicht, die zusätzlich zur Hauptwasserhaltung (Wasserhaltung der vom Aushub betroffenen Sandschichten) notwendig ist. Die 3. Sandschicht bleibt unberührt. Generell können so 2 maßgebende Versagensbedingungen, zum Einen ein Aufbrechen des Bodens aus der Zwischensandschicht und zum Anderen aus der 3. Sandschicht heraus, formuliert werden. Die aus den großen Baugrubenabmessungen resultierende Anzahl der erforderlichen Absenkbrunnen der Zwischensandschicht sollen die Gefahr eines Grundbruchs aus dieser verringern. Der anstehende Feinstsand mit dem geringen Durchlässigkeitsbeiwert führte zu dem technischen Vorschlag, die Absenkbrunnen als Vakuumtiefbrunnen zu installieren. Somit konnte Sicherheit durch eine verbesserte Entwässerung und eine erweiterte Boden stabilisierende Wirkung durch die Vakuumbeaufschlagung erreicht werden. Als weiteres Sicherungssystem wird ab der Aushubtiefe von - 26,0 m NAP zusätzlich eine Überdruckanlage den Baugrund gegen Aufbruch resultierend aus der 3. Sandschicht heraus absichern.
Eine weitere Anforderung war die Verwendung größtmöglicher Brunnenabstände sowie Vermeidung von Platzierungen in Baugrubenmitte. Damit sollte ein schneller und wirtschaftlicher Aushub garantiert werden.
Des Weiteren bestand die Herausforderung an der Sicherstellung der kurz gesteckten Ausführungstermine für die Brunneninstallation, um die Aushub- und Betonierarbeiten nicht zu behindern. Dies konnte durch eine logistisch anspruchsvolle Arbeitsteilung mehrerer Bohrtrupps sichergestellt werden.
Erschwerend zu den vorher genannten Bedingungen mussten bohrtechnisch die gespannten Wasserstände der Zwischensandschicht beherrscht werden. Dazu wurde vorlaufend der Bestand der Filterstrecken im Aquifer genutzt, um Druck entlastende Pumparbeiten durchzuführen. Damit konnten die Bohrungen sicher abgeteuft und mit Brunnenausbaumaterial sowie Kies und Abdichtungsmaterialien sauber eingebracht werden.
Das System
Die zuvor genannten Anforderungen konnten durch Verwendung eines Systems aus Vakuumtiefbrunnen und komplexer Steuerungstechnik erfüllt werden.
Vakuumtiefbrunnen sind Tiefbrunnen mit zusätzlicher Beaufschlagung von Unterdruck auf den Brunnenraum. Somit wird auch auf den zu entspannenden Grundwasserleiter die Charakteristik der Absenkwirkung verändert. Das Entspannungsgefälle wird im angewandten System durch die Aufbringung von Unterdruck erhöht. Der wirksame Brunnenraum und die Absenkkurven verändern sich praktisch. Dies ist für einen größeren Wasserandrang sowie eine größere Entspannungswirkung verantwortlich. Das führt zu einem erweiterten, konstanten Anströmungsbereich an der Entnahmestelle, im Gegensatz zur Absenkspitze der Schwerkraftentwässerung (Bild 4).
Durch die größere abzupumpende Wassermenge, die proportional zum Entspannungsgefälle ansteigt, wird ein geringerer Maximalwert der Druckhöhe in der Baugrube erreicht bzw. bei größerem Brunnenabstand das gleiche Absenkniveau. Vergrößerte Brunnenabstände ermöglichen die weitgehende Freihaltung des Baugrubenraums.
In der 1. Betriebsphase ermöglicht die Vakuumwasserhaltung alleine den Aushub von - 22,5 bis - 26,0 m NAP. In der anschließenden Aushubphase bis zur Endtiefe auf -32,0 m NAP wird die Baugrube zusätzlich mit Druckluft beaufschlagt, um die Sicherheit gegen einen Bodenaufbruch vollständig sicherzustellen. Die Größe des in die Baugrube eingeleiteten Überdrucks hängt von der durch das Grundwassermanagement erreichten Druckhöhe der Zwischensandschicht und der Druckhöhe der 3. Sandschicht ab. Da beide Systeme aufeinander abgestimmt werden können, bieten sie die größtmögliche Sicherheit. Dabei bleibt festzuhalten, dass das Druckluftsystem alleine nicht wünschenswert wäre und dass nur die Entspannung nicht die volle Sicherheit garantieren könnte. Bei einer alleinigen Entspannung würde der Druck der unterliegenden, nicht entspannten 3. Sandschicht zum Problem werden. Eine Baugrundsicherung nur mit dem Überdrucksystem würde zu hohen Überdrücken führen und die Arbeitszeiten im Überdruckraum aus arbeitsschutztechnischen Gründen stark reduzieren und so einen wirtschaftlichen Bauprozess nicht ermöglichen.
Aufbau der Grundwassermanagementanlage
In dem zur Verfügung stehenden Zeitfenster wurden zunächst von der Bohrebene - 20,5 m NAP bis ungefähr - 34,0 m NAP die Bohrungen mit 2 Bohranlagen mit 380 mm im Direkt-Spülbohr-Verfahren vorgebohrt und direkt stabilisierend mit PVC-Rohren DA 315 verrohrt. Der Ringraum 380 x 315 mm wurde mit Brunnendämmer abgedichtet.
Im Rollsystem wurden dann mit 2 leichten Direkt-Spülbohranlagen und mit zeitlich vorlaufender Grundwasserdruckentlastung durch Entspannung über den zuvor gebohrten Brunnen die Bohrungen mit einem Durchmesser von ca. 300 mm auf die Endteufe von - 44,5 m NAP abgeteuft. Bild 5 zeigt eine Aufnahme der Bohrarbeiten.
Es wurden keine Spülungszusätze verwendet. Nach Erreichen der Endteufe und vor Einbau des Brunnenausbaumaterials erfolgte der Totalspülungsaustausch gegen Klarwasser. Durch die vorlaufenden Pumparbeiten und die dadurch erreichten Druckentlastungen in der Zwischensandschicht konnte der Einbau der Edelstahlwickeldrahtfilter DN 100 mit Schlitzweiten von 0,1 mm und einer Einbaulänge von 4,0 m sicher erfolgen.
Die Brunnenvollrohre wurden in PEHD ausgeführt, um mechanische Schäden durch Erdbaufahrzeuge während der Aushubphase zu vermeiden. Die Muffenverbindungen wurden druck- und vakuumfest gewählt.
Die Ringraumverkiesung 300 x 100 mit Quarzfilterkies Fraktion 0,2 bis 0,5 mm bzw. 0,4 bis 0,8 mm, je nach Filterkonvektion, zwischen - 44,5 und - 39,0 m NAP konnte eingebracht werden. Die Verwendung dieser feinen Ringraumverkieselung und der Wickeldrahtfilter ist außergewöhnlich filigran und resultiert aus den vorhandenen Feinstsanden. Eine Ringraumverfüllung mit Quellton als plastische und durchschlagsichere Vorabdichtung zwischen - 39,0 und - 35,0 m NAP gelang ebenfalls so gut, wie die Verpressung des verbleibenden Ringraums mit Brunnendämmer von - 35,0 m NAP bis zum Fuß der 2. Sandlage bei - 26,0 m NAP. Somit konnte die Brunnenkonstruktion druck- und vakuumfest sowie sicher gegen mechanische Beschädigungen durch den Baubetrieb in der Grube gestaltet werden.
Zur Gewährleistung einer bestmöglichen Betriebssicherheit wurde das Grundwassermanagementsystem über eine EMSR-Anlage gesteuert (Elektronische Mess-, Steuer- und Regeltechnik) (Bild 6).
In den einzelnen Brunnen sind Unterwasserpumpen installiert worden, die 1 m über der Brunnensohle hängen und über die EMSR entweder automatisch oder per Handeingabe ein- und ausgeschaltet werden können. Dabei wird jede einzelne Pumpe separat gesteuert. Durch diese Art der Steuerung soll eine möglichst hohe Leistungsfähigkeit erreicht und ein Ausfall mehrerer Pumpen zum gleichen Zeitpunkt verhindert werden. Die automatische Steuerung erfolgt über die, den einzelnen Brunnen vorgegebenen, Ein- und Ausschaltwasserstände, die durch in die Brunnen integrierte Drucksonden kontinuierlich gemessen werden. Zusätzlich werden die Wasserstände in externen Pegeln gemessen, um zu kontrollieren, ob die Absenkung ihren gewünschten Grad erreicht und die theoretisch errechneten Absenkungen bestätigt werden können.
Für die Vakuumbeaufschlagung sind jeweils 8 Brunnen an eine Vakuumluftpumpe angeschlossen. Der Unterdruck wird über Absaugleitungen, die an den Brunnenkopf angeschlossen sind, im Brunneninnenraum und so übertragen auf den Aquifer erzeugt. Auch die Vakuumpumpen werden wie die Unterwasserpumpen über die EMSR separat gesteuert.
Um die Grundwassermanagementanlage unter der komplexen Randbedingung, der Entspannung eines feinstsandigen, dünnschichtigen Aquifers, bemessen zu können, wurde im Sommer 2010 ein Praxistest durchgeführt. An ausgewählten Stellen im Norden und Süden der Baugrube wurden je 6 Testbrunnen installiert und angefahren. Die Ausführung des Testlaufes mit den Brunnentypen und der Anlagentechnik entsprach der umgesetzten Ausführung der Grundwassermanagementanlage der gesamten Baugrube. Auf Grundlage der Ergebnisse der Pumpversuche in verschiedenen Variationen (mit und ohne Vakuum, verschiedenen Absenkzielen und Wiederanstieg des Wassers) wurde ein Grundwassermodell erstellt. Mit diesem Finite-Elemente-Modell wurden verschiedene Varianten der Grundwasserentspannung theoretisch untersucht. Hierbei war vor allem die Risikominimierung von größter Bedeutung. Um dennoch die Wirtschaftlichkeit einer solchen Anlage und des restlichen Baubetriebes nicht zu vernachlässigen, wurden möglichst große Brunnenabstände festgelegt. Mit der Bemessung ging auch eine Risikoanalyse einher. Dazu wurden in einer komplexen Matrix mögliche Risikoszenarien erfasst und bewertet. Des Weiteren wurde definiert, wie diese zu messen und überwachen sind.
Auf Grundlage der Risikoanalyse wurde beispielsweise die Redundanz der eingesetzten Systeme verlangt. Die Tatsache, dass jeder Brunnen einzeln gesteuert werden kann, birgt den Vorteil, bei einer lokalen Störung nur einen ausgefallenen Brunnen zu haben. Die Vakuumbeaufschlagung ist so installiert, dass nicht Brunnen in Reihe bei einer Pumpenstörung ausfallen können. Hierbei würde nur jeder 2. Brunnen ausfallen und die globale Sicherheit so gegenüber dem Reihenausfall vergrößern. Im Falle einer Störung im System werden durch die automatische Steuerung der EMSR-Anlage Alarmmeldungen an die zuständigen Personen per SMS versendet. So wird eine schnellst mögliche Fehlerbeseitigung und ein hohes Sicherheitsniveau erreicht. Bei einem eventuellen Totalausfall des Grandwassermanagementsystems könnte das Druckluftsystem die Sicherheit durch temporäre Erhöhung des Überdrucks gewährleisten. Diese temporäre Druckerhöhung wurde aus Sicherheits- und Gesundheitsschutzgründen aber zu einer verminderten Arbeitsleistungsfähigkeit führen.
Zusammenfassung und Ausblick
Für die geologischen und hydrogeologischen Randbedingungen in Amsterdam konnte eine leistungsfähige und sicherheitstechnisch auf höchstem Niveau arbeitende Anlage des Grundwassermanagements installiert werden. Besondere Gegebenheiten implizieren eine für die Lokalität geeignete Lösung zu finden. Im innerstädtischen Tunnelbau wird es immer wichtiger, die Sicherheit gegen direkte oder indirekte Beeinträchtigungen der hohen Güter des Lebens, der Umwelt und der Bebauung zu gewährleisten: sei es zum Beispiel der hydraulische Grundbruch, den es zu verhindern gilt, oder die Beibehaltung von Grundwasserständen außerhalb von Baugruben, damit es nicht zu ungewollten Setzungen oder Beeinträchtigung der städtischen Vegetation kommt. Hierfür sind konsequentes Grundwassermanagement und eine vorhergehende weitläufige Erkundung des von der Baumaßnahme beeinträchtigten Gebietes erforderlich. Nach der Ermittlung der Risiken und Prioritäten einer Baumaßnahme kann so ein auf die Anforderungen individualisiertes, leistungsfähiges Ausführungskonzept entwickelt werden.