„Make tunnels, not war!“ – Günter Girnau ist 90 Jahre alt
Im August 2024 feierte das auf Lebenszeit ernannte Ehrenmitglied des STUVA-Vorstands Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Günter Girnau seinen neunzigsten Geburtstag. Mit einer für sein Alter beneidenswert robusten Physis und seinem hellwachen Verstand blickt er auf ein erstaunliches Lebenswerk zurück.
Noch vor wenigen Wochen war er mal wieder auf der großen Weltbühne zu sehen. Auf dem World Tunnel Congress in Shenzhen, China, war er als Ehrengast zum 50. Jubiläum der International Tunnelling and Underground Space Association (ITA) eingeladen (Bild 1). Schließlich war er von 1981 bis 1984 selbst Präsident der ITA gewesen. Schon 1970 war er an der Vorstufe zur Gründung dieser von der OECD initiierten Organisation maßgeblich beteiligt, war 1974 Gründungsmitglied und wurde in den ersten Vorstand gewählt. In Shenzhen war es jedenfalls wie immer: Wenn Günter Girnau zu Wort kommt, dann zieht er alle in seinen Bann. In frei vorgetragener Rede ließ er die Gründungsjahre der ITA vor über 50 Jahren wiederauferstehen und antwortete auf die Frage nach seiner wichtigsten Erkenntnis und seinen Erwartungen an die Zukunft der ITA verblüffend kurz: „Make tunnels, not war!“
Aber genau das ist auch die kürzeste Formel, auf die sich das neunzigjährige Leben dieses außergewöhnlichen Menschen bringen lässt. Denn den Krieg und dessen Schrecken hat er als Kind noch hautnah miterlebt. 1934 geboren, war Günter Girnau bei Kriegsausbruch 1939 fünf Jahre alt und die recht unbeschwerte Kindheit fand ein jähes Ende.
Der Krieg und die schwierigen Nachkriegsverhältnisse haben seinen Blick für das Gute und Richtige geschärft. Vor allem die mitfühlende Hilfsbereitschaft seiner Mitmenschen in der Nachkriegszeit gegenüber der Not anderer hat ihn genauso fürs Leben geprägt wie die Erkenntnis, dass Diskriminierung oder Verfolgung von Menschen wegen ihrer Nationalität, Hautfarbe oder Religion zutiefst zu verurteilen sind. Schon in jungen Jahren hat sich Günter Girnau zur zentralen Lebensaufgabe gemacht, Menschen miteinander zu verbinden. Dies ist ihm in hervorragender Weise durch sein Einfühlungsvermögen und sein diplomatisches Geschick während seines ganzen beruflichen Lebens gelungen, insbesondere als sich die ITA, noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs, nach Osten öffnete.
Nach seinen eigenen Angaben besteht die größte Kunst darin, die drei entscheidenden Elemente unseres Lebens miteinander in Einklang zu bringen: Familie – Beruf – Freunde. Und wer eine intakte Familie haben, ein zufriedenes Leben führen und gleichzeitig beruflich erfolgreich sein will, braucht einen ebenso starke wie einfühlsame Partnerin an seiner Seite. Diese hat er schon früh in seiner liebenswerten Frau Ibo gefunden, die ihn Zeit ihres Lebens tatkräftig unterstützte und ihn oft auch auf seinen vielfältigen Auslandsreisen begleitete.
Nach dem Abitur stürzte er sich mit Feuereifer in das Bauingenieurstudium an der RWTH Aachen. Durch Fleiß und eine gesunde Strebsamkeit wurde er Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Die Zeit der harten Nebenjobs war damit Geschichte (Bild 2), und er konnte sich ab sofort voll auf sein Studium fokussieren. Schon als junger Student faszinierte ihn die Welt des Verkehrswegebaus. Schließlich waren Mobilität und die damit einhergehenden Probleme durch den sprunghaft steigenden Individualverkehr allgegenwärtig.
Schon 1960 wusste er genau, was er wollte. Da erschien er noch vor der letzten Diplomprüfung bei der gerade in Gründung befindlichen STUVA zum Vorstellungsgespräch und wurde sofort als erster Mitarbeiter des Vereins eingestellt. Bereits im Jahr 1963 übernahm er als 29-jähriger die Geschäftsführung der STUVA – für die damalige Zeit bei allem Talent unfassbar jung (Bild 3). Seitdem hat er die Verkehrspolitik und den Verkehrswegebau in Deutschland, Europa und weltweit bis in die Gegenwart maßgeblich mitgestaltet. Insbesondere die heute selbstverständliche Nutzung des unterirdischen Raums für moderne S-, U- und Stadtbahnen ist auf das Engste mit seiner Person verknüpft. Sein Fleiß, seine Überzeugungskraft und seine menschliche Art haben ihm dabei immer die richtigen Türen geöffnet.
Nach seiner Ernennung zum Geschäftsführer der STUVA nahm die Karriere von Günter Girnau so richtig Fahrt auf: Noch im Jahr 1964 hat er „nebenbei“ an der RWTH Aachen promoviert. 1969 wurde er zum geschäftsführenden Vorstandsmitglied der STUVA berufen und 1970 habilitierte er sich in Aachen ebenfalls als Externer. 1973 trat Günter Girnau – zunächst parallel zu seiner STUVA-Arbeit – als stellvertretender Verbandsdirektor in die Dienste des damaligen VÖV (Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe). 1976 wurde er dort zum alleinigen Verbandsdirektor und Geschäftsführenden Präsidiumsmitglied gewählt.
Jedoch war ihm schon Anfang der 70er-Jahre klar, dass Verkehrspolitik sich nicht nur auf Deutschland beschränken darf, sondern die internationale Zusammenarbeit gefördert werden muss. Als die OECD 1970 eine Konferenz für Tunnelbau und unterirdisches Bauen in Washington abhielt, wurde Günter Girnau als STUVA-Geschäftsführer in die 10-köpfige deutsche Delegation berufen. In Folge dieser Konferenz wurde 1972/1973 der Deutsche Ausschuss für unterirdisches Bauen (DAUB) als nationaler Kontakt für die internationale Tunnelcommunity gegründet und ein Jahr später dann die ITA selbst. Nicht nur, dass die DAUB-Geschäftsstelle damals bei der STUVA angesiedelt wurde, sondern auch, dass Günter Girnau zum ersten DAUB-Geschäftsführer ernannt wurde, zeugt von seinem großen Engagement in dieser Sache und war für die STUVA ein absoluter Glücksfall: Bis heute ist der amtierende STUVA-Geschäftsführer traditionell in Personalunion auch Geschäftsführer des DAUB. Dadurch wurden die vielfältigen internationalen Kontakte der STUVA über die Jahrzehnte geprägt und ausgebaut. Bild 4 zeigt ihn bei seiner Festrede für den DAUB während der Feier zum 50-jährigen Bestehen im Mai 2023.
Durch die Ämterhäufung war es für Günter Girnau mittlerweile immer schwieriger, die vielfältigen Aufgaben im Alltagsgeschäft der STUVA allein zu koordinieren. 1977 schied er deshalb aus der STUVA-Geschäftsführung aus und übergab diese in die Hände seines bereits 1967 von ihm eingestellten Mitarbeiters Prof. Dr.-Ing. Alfred Haack. Girnau selbst wurde auf Vorschlag des damaligen STUVA-Vorsitzenden, Oberbaudirektor Prof. Otto Sill, als dessen Nachfolger von der Mitgliederversammlung gewählt. Als Vorstandsvorsitzender war er somit weiter in „seiner“ STUVA fest verankert und arbeitete 23 Jahre harmonisch im Tandem mit seinem neuen Geschäftsführer. Diese Harmonie kam nicht von ungefähr, sondern war das Resultat eines weiteren gelebten Girnau-Prinzips: Probleme werden ebenso offen wie ehrlich angesprochen und gemeinsam gelöst – nur so lässt sich Beständiges erreichen!
Als 1990 der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) aus der Fusion des VÖV, des Bundesverband Deutscher Eisenbahnen, Kraftverkehre und Seilbahnen (BDE) und des Verbandes öffentlicher Verkehrsbetriebe in der ehemaligen DDR entstand, wurde Girnau zum Hauptgeschäftsführer und Geschäftsführenden Präsidiumsmitglied des VDV berufen. Bei der VDV-Jahrestagung im Mai 1998 in Leipzig wurde er durch die Mitgliederversammlung in Würdigung seiner Verdienste bei der Modernisierung, Weiterentwicklung, Imageverbesserung und Förderung des ÖPNV und des schienengebundenen Güterverkehrs zum Ehrenmitglied des VDV gewählt. Am 31. Juli 1998 beendete Girnau seine Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer des VDV, dem er 25 Jahre angehört hatte. Quasi als Abschiedsgeschenk für den VDV gründete er gemeinsam mit Dr. Wilhelm Pällmann die gemeinnützige Stiftung Führungsnachwuchs zur Förderung von Nachwuchskräften in den Verkehrsunternehmen.
Neben zahllosen anderen Auszeichnungen erhielt er 1995 die Ehrendoktorwürde der TU Braunschweig und 1998 als Anerkennung für die zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten im Sinne der Verkehrswissenschaft und Verkehrswirtschaft das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Zu der heute weltweiten Bedeutung der STUVA im Bereich des unterirdischen Bauens hat Günter Girnau durch seine langjährige ehrenamtliche Tätigkeit im internationalen Bereich entscheidend beigetragen. Auf eigenen Wunsch schied Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Günter Girnau zur Mitgliederversammlung 1999 aus dem STUVA-Vorstand nach mehr als 30-jähriger Zugehörigkeit zu diesem Gremium wegen Erreichens der Altersgrenze aus. Aber was heißt das schon bei solch einem Menschen? Noch am gleichen Tag wurde Günter Girnau zum Ehrenmitglied des STUVA-Vorstands auf Lebenszeit ernannt. Bis zum heutigen Tag ist er immer für die STUVA da, wenn sie dies wünscht. Seine durch langjährige Erfahrung und Lebensweisheit geprägte fundierte Meinung und seine Ratschläge sind nach wie vor gerne gefragt und sehr geschätzt. Dabei drängt er sich aber nicht auf, sondern vertraut darauf, dass die jüngeren Mitarbeiter in seinem Sinne verantwortungsbewusst die STUVA weiterführen.
Was ihn ein wenig wundert, ist, wo eigentlich die Zeit geblieben ist. Nach seinem „Ruhestand“ ist die Zeit bis zum 90. Lebensjahr jedenfalls wie im Fluge vergangen, denn vor allem in den Anfangsjahren konnte er als Leiter hochkarätig besetzter Teams sich endlich dem Schreiben zahlreicher Fachbücher innerhalb der – natürlich von ihm selbst mitgegründeten – „blauen VDV-Buchreihe“ widmen, die längst zu Standardwerken geworden sind.
Für die STUVA-Mitarbeiter – egal, ob jung oder selbst schon alt – ist es jedenfalls eine große Ehre und Inspiration, diesen außergewöhnlichen Menschen immer wieder in der STUVA treffen zu können. Sein brillantes Urteilsvermögen und seine faszinierende Persönlichkeit waren in den letzten vierundsechzig Jahren der verlässliche Grundstein für das stetige Gedeihen unserer STUVA und Ansporn für die eigene Arbeit. Wir wünschen uns alle, dass es noch lange so weitergeht. In diesem Sinne: Ad multos annos, lieber Herr Girnau!