Junges Forum der STUVA-Tagung: Gleich drei Gewinner auf spannender Reise in Kanada
Wenn am 8. November dieses Jahres die STUVA-Tagung ‘23 in München die Tore öffnet, dann ist auf jeden Fall wieder für Spannung gesorgt. Denn im STUVA-Wettbewerb „Junges Forum“ erhalten bis zu fünf junge Ingenieure und Ingenieurinnen die Chance, ihre Projekte oder Forschungsthemen auf der großen Bühne zu präsentieren und sich der Bewertung durch das anwesende Fachpublikum zu stellen. Wie beliebt dieser jetzt zum siebten Mal ausgetragene Wettbewerb unter den Nachwuchskräften mittlerweile ist, zeigen die rasant steigenden Teilnehmerzahlen. Mit 17 Einreichungen in diesem Jahr wurde ein Allzeitrekord verzeichnet, der die Vorauswahl für den Wissenschaftlichen Programmbeirat nicht gerade leicht macht. Wir dürfen also gespannt sein, wer in diesem Jahr in die Endausscheidung kommt und den Nachwuchswettbewerb für sich entscheidet. Dem Gewinner oder der Gewinnerin winken wie immer nicht nur Ruhm und Ehre, sondern eine exklusive Reise zu einem der großen Tunnelbauprojekte.
In den letzten drei Jahren war das allerdings so eine Sache mit den Reisen … Auf der STUVA-Tagung 2019 erhielt Dr.-Ing. Ivan Popovic von ZPP Ingenieure den STUVA-Nachwuchspreis für seinen Vortrag „Neue Trennmethode für gebrauchte Bentonitsuspensionen: Feinkornabtrennung mittels Elektroagulation – Laborversuche, Prototyp, Baustellenimplementierung“. Aber die Vorfreude auf seine geplante Reise zum Megaprojekt Wasserkraftwerk Alto Maipo in Chile währte nur kurz. Der Ausbruch der Corona-Pandemie machte einen dicken Strich durch alle Reisepläne.
Zwei Jahre vergingen schnell, und es kam die STUVA-Tagung 2021, auf der es eine Stimmengleichheit gab und der STUVA-Nachwuchspreis zweifach vergeben wurde: Sebastian Kube, M. Sc. vom Lehrstuhl für Tunnelbau, Leitungsbau und Baubetrieb der Ruhr-Universität Bochum (zum Zeitpunkt der STUVA-Tagung; jetzt Reckli) für seinen Vortrag „Elektrische Widerstandsmessungen zur Beschreibung der Partikeleinlagerung während der Penetration von Bentonit in kohäsionsloses Lockergestein“ und Sophie Escherich, M. Sc. von Gähler und Partner für ihren Vortrag „Organisation von großen Untertagebauprojekten in Deutschland und in der Schweiz – Eine Vergleichsbetrachtung zu den Erfolgskriterien“.
Der Preis beinhaltete eine Reise nach Toronto in Kanada zu den Baustellen der Projekte Scarborough U-Bahn-Erweiterung und Ashbridges Bay Abwasseraufbereitungsanlage – integriertes Pumpwerk. Aber auch diese beiden Gewinner mussten wegen der coronabedingten Beschränkungen zunächst monatelang auf ihre Reise warten. Als dann endlich wieder ein zwangloses Reisen möglich wurde, war der Entschluss schnell gefasst: Alle drei jungen Gewinner treten die von STRABAG und der STUVA organisierte Reise zusammen an. Mittlerweile ist die Reisegruppe wieder wohlbehalten in der Heimat angekommen und hat uns den folgenden Reisebericht mitgebracht:
Ankunft in Toronto
Der Tag der Anreise, auf den wir uns sehr gefreut hatten, war endlich gekommen. Wir trafen uns um 6 Uhr am Frankfurter Flughafen, der Abflug fand kurz nach 10 Uhr statt. Als wir nach einem 8-stündigen Flug in Toronto ankamen, zeigte die Uhr dort erst Mittag. Wir hatten also noch einen ganzen Tag vor uns und nutzten ihn, um uns die Stadt anzusehen.
Toronto ist mit fast 3 Millionen Einwohnern die größte Stadt Kanadas und die Hauptstadt der Provinz Ontario. Mit ca. 50 % Einwohnern, die außerhalb Kanadas geboren sind, gilt Toronto als eine der multikulturellsten und kosmopolitischsten Städte der Welt. Am ersten Tag besuchten wir Toronto Downtown, die für ihre zahlreichen Wolkenkratzer bekannt ist. An jeder Ecke gab es Baustellen mit den unterschiedlichsten Bauingenieuraufgaben, von Tiefbauarbeiten bis zur Errichtung der letzten Stockwerke neuer Wolkenkratzer. Wir waren schon gespannt, was uns in den nächsten Tagen auf den STRABAG-
Baustellen erwarten würde.
STRABAG Headoffice – Empfang und Diskussion über Unternehmensaktivitäten in Kanada
Am nächsten Morgen fuhren wir zum Headoffice von STRABAG Kanada in Mississauga. Dort wurden wir von Simon Köck und seinem Team herzlich empfangen. Nach einer Führung durch das Büro im neuen Gebäude, das praktischerweise direkt neben einer STRABAG-Baustelle liegt, wurden uns die abgeschlossenen und laufenden Projekte in Kanada vorgestellt. STRABAG hat sich in Kanada mit dem Projekt Niagara Tunnel etabliert, das 2013 nach sieben Jahre Bauzeit abgeschlossen wurde. Dort wurde mit der damals weltweit größten Hartgesteins-TBM (Durchmesser 14,4 m, Länge 150 m, Gewicht mehr als 4000 Tonnen) ein 10,4 km langer Wasserzuleitungstunnel gebaut. Der Tunnel befindet sich bis zu 140 m unter der Erdoberfläche und dient der Speisung eines Speicherreservoirs mit dem eine intensivere Nutzung des Niagara-Flusses zur Stromerzeugung möglich wurde. Das Bauvolumen betrug 900 Millionen Euro.
Bei der Vorstellung der aktuellen Projekte hat uns besonders beeindruckt, wie intensiv BIM bereits in der Angebotsbearbeitung genutzt wird. Neben BIM haben wir auch viele andere Aspekte diskutiert, insbesondere die Unterschiede zwischen europäischer und kanadischer Planung und Ausführung von Großprojekten. Nach dem gemeinsamen Mittagessen gingen wir zur ersten Baustelle – dem Startschacht für das Projekt Scarborough U-Bahnerweiterung.
Scarborough U-Bahn-Erweiterung – Startschacht
STRABAG hat über seine kanadische Tochter den Auftrag für den Tunnelvortrieb im Rahmen der Erweiterung der Scarborough-U-Bahn (Linie 2) in Toronto erhalten. Das Projekt mit einem Auftragsvolumen von rund 500 Millionen Euro wurde als Design-Build-Finance-Modell ausgeschrieben. Die Arbeiten starteten im Juni 2021 und sollen bis Herbst 2024 abgeschlossen sein. Die Erweiterung der Scarborough Subway ist ein wichtiger Teil des 21,1 Milliarden Euro schweren U-Bahn-Ausbauprogramms von Ontario, das auch die Ontario Line, die Yonge North Subway Extension und die Eglinton Crosstown West Extension umfasst. Insgesamt werden im Rahmen dieses Ausbauprogramms mehr als 40 km neue U-Bahn-Strecken gebaut.
Die 7,8 km lange Erweiterung der Scarborough Subway erfolgt ausschließlich unterirdisch. Sie wird die bisherige Endstation Kennedy Station mit Sheppard Avenue/McCowan Road verbinden. Zum aktuellen Auftrag der STRABAG gehören ein Startschacht, ein Zielschacht, fünf Stirnwände für künftige Stationen sowie 14 Stirnwände für Rettungsschächte. Für den Tunnelbau kommt eine Tunnelbohrmaschine mit einem Durchmesser von ca. 11,9 m zum Einsatz. In einem nächsten Bauabschnitt werden dann die Stationen und Zugsysteme errichtet.
Als wir ankamen, befand sich die Tunnelbohrmaschine mit dem Namen „Diggy Scardust“ bereits im Startschacht. Diggy ist eine 2050 Tonnen schwere und 84 m lange EPB-Schildmaschine des Herstellers Herrenknecht. Sie wird einen U-Bahn-Tunnel mit einem Innendurchmesser von 10,7 m errichten, in dem Züge in beide Richtungen fahren können – der erste seiner Art in Toronto.
Der Startschacht selbst ist 28 m breit, 80 m lang und 30 m tief. Es wurden mehr als 300 überschnittene Bohrpfähle hergestellt, um die wasserdichte Wand um die Baugrube zu errichten. Wir gingen hinunter in den Schacht und haben uns die Schildmaschine angesehen – was Tunnelbauern und Tunnelbauerinnen immer viel Freude bereitet. Auf dem Schneidrad ist das Ahornblatt, das kanadische Staatssymbol, in Weiß und Rot abgebildet. Nach dem Startschacht und der Schildmaschine schauten wir uns auch den Rest der Baustelleneinrichtung an.
Nach diesem ereignisreichen Tag hatten wir einen freien Abend, an dem wir die Stadt weiter erkundeten. Am folgenden Tag stand der Besuch der nächste Baustelle auf dem Programm: das integrierte Pumpwerk der Ashbridges Bay Wasseraufbereitungsanlage.
Ashbridges Bay Abwasseraufbereitungs-anlage – integriertes Pumpwerk
Am frühen Morgen des dritten Tages kamen wir ins Büro der Baustelle. Dort gab es zunächst ein typisch kanadisches Frühstück mit Donuts. Danach folgte die Vorstellung des Projektes durch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor Ort.
Die kanadische Einheit des STRABAG-Konzerns wurde von der Stadt Toronto mit dem zweiten Abschnitt des neuen integrierten Pumpwerks der Ashbridges Bay Wasseraufbereitungsanlage beauftragt. Der Auftragswert liegt bei rund 80 Millionen Euro und beinhaltet Schacht- und Zubringerbauwerke. Das integrierte Pumpwerk ermöglicht den unterirdischen Abtransport der Abwässer in die Ashbridges Bay Abwasseraufbereitungsanlage. Das Pumpwerk ist Teil eines größeren Infrastrukturprogramms mit dem Ziel, die Kapazitäten im Abwassersystem für Starkregenereignisse zu erhöhen und damit die Wasserqualität in Torontos Wasserstraßen und im Ontariosee zu verbessern.
Die Herzstücke des Bauprojekts sind zwei massive Schachtbauwerke: ein Schacht mit 68 m Tiefe und 27 m Durchmesser, ein weiterer mit 27 m Tiefe und 32 m Durchmesser. Inklusive fünf kleinerer Schächte ergibt das insgesamt 153 m Bausoll an Schachtbauwerken. Zu den beiden großen Schachtbauwerken führen Zubringertunnel, mit einer Länge von insgesamt 445 m in Fels geschlagen, sowie ein parallel geführtes Druckrohr, das in offener Bauweise nahe an der Oberfläche erstellt wird.
Wir sahen uns zunächst den tiefsten Schacht an, in den wir in einem Krankorb hinuntergefahren wurden. Der Schacht war nicht mehr „nur“ ein Schacht – im Inneren hatten die Arbeiten an der zukünftigen Pumpstation bereits begonnen. In einem Zubringertunnel konnten wir den Boden bzw. die Felsen im tiefen Untergrund von Toronto sehen, da der Tunnel teilweise ohne Spritzbetonausfachung aufgefahren wurde. Nach dem ersten Schacht gingen wir auch in den zweiten, angrenzenden Schacht hinunter. Am Nachmittag verabschiedeten wir uns dann von unseren Gastgebern.
Toronto und Niagarafälle
Neben beeindruckenden Baustellen besuchten wir auch zahlreiche Sehenswürdigkeiten in Toronto und Umgebung. Das bekannteste Wahrzeichen Torontos ist der CN Tower, ein 553 m hoher Fernsehturm, der in den 1970-er Jahren im Auftrag der kanadischen Eisenbahngesellschaft (Canadian National Railways) gebaut wurde. Der Turm wurde zur Verbesserung der Funkübertragung errichtet und sollte ursprünglich gar nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Heute ist er die wichtigste Touristenattraktion der Stadt. Von seinen Aussichtsplattformen aus lässt sich Toronto in seiner ganzen Pracht bewundern.
Der Turm befindet sich in Toronto Downtown, was an sich schon eine Sehenswürdigkeit ist. In diesem Gebiet befindet sich die größte Konzentration von Wolkenkratzern und Unternehmen in Kanada, die die Skyline von Toronto prägen. Toronto Downtown hat nach New York und Chicago die drittmeisten Wolkenkratzer in Nordamerika. Da das Stadtbild von Turmdrehkränen und neuen Wolkenkratzer dominiert wird, wird Toronto in den nächsten Jahren Chicago auf dieser Liste überholen.
Toronto ist nicht nur knapp unter den Wolken, sondern auch unter der Oberfläche unglaublich interessant. Die Wolkenkratzer in Toronto sind unterirdisch mit dem sogenannten PATH verbunden. Das ist ein Netzwerk von insgesamt 30 km Fußgängertunneln unter der Innenstadt. PATH ist aber wesentlich mehr als nur ein Tunnelsystem, es ist wie ein Einkaufszentrum. Derzeit sind ca. 1200 Geschäfte an PATH angeschlossen, mit mehr als 200 000 täglichen Nutzern, die über mehrere U-Bahn-Stationen direkten Zugang zu PATH haben. Das ist vor allem in den Wintermonaten sehr praktisch. Und nicht zuletzt … die Niagarafälle. Dieses Naturwunder liegt nur ca. 130 km von Toronto entfernt, an der Grenze zwischen den USA und Kanada. Die berühmtesten Fälle, Horseshoe Falls, sind 57 m tief und 670 m breit. Obwohl die Wassermassen an den Fällen unendlich zu sein schienen, betragen sie nur etwa die Hälfte des gesamten Wasserdurchflusses des Niagaraflusses. Der Rest wird für die Stromgewinnung abgeleitet. Mit jährlich mehr als 18 Millionen Besuchern zählt die Niagararegion zu den beliebtesten Touristenattraktionen Nordamerikas.
Zusammenfassung
Wir empfanden die gewonnene Reise als lehrreich und unheimlich spannend. Überwältigt von den Eindrücken bedanken wir uns bei der STUVA und STRABAG für die Organisation der Reise. Besonders bedanken möchten wir uns bei Stefanie Posch (STUVA) sowie Simon Köck und seinen Kollegen und Kolleginnen (STRABAG), die uns herzlich empfangen, ihre Projekte vorgestellt und die Baustellen gezeigt haben.