Integrale Betrachtung von Kosten, Terminen und Risiken
Großprojekte bringen ein hohes Investitionsvolumen, ein hohes Maß an Unsicherheiten sowie lange Laufzeiten mit sich. Um dem gerecht zu werden, ist der Einsatz eines digitalen Projektrisiko-Zwillings von Vorteil, mit dem sich Unsicherheiten und Abhängigkeiten zwischen Kosten, Terminen sowie Risiken transparent darstellen und analysieren lassen.
1 Einleitung
Im ersten Teil „Risikomanagement und Vertragsmodelle im Tunnelbau: Grundlagen Risikomanagement“ wurde die Relevanz eines transparenten Kosten- und Risikomanagements bei großen Infrastrukturprojekten vorgestellt – insbesondere die wesentlichen Kostenbestandteile und deren Zusammensetzung. Um Kosten und Termine erfolgreich messen und steuern zu können, ist eine nachvollziehbare Bewertung der Risiken notwendig. Probabilistische Methoden liefern im Vergleich zur Deterministik wertvolle Informationen zu Unsicherheiten [1]. Die genannten Grundlagen aus Teil 1 werden mit einem digitalen Projektrisiko-Zwilling (Projekt Risk Twin – PRT) dargestellt.
2 Integrale Modellierung von Kosten, Terminen und Risiken
2.1 Grundlagen der Integralen Modellierung
Die Integration der Terminplanung in das Risikomanagement ist wichtig, da diese – wie viele Beispiele bei Großprojekten zeigen – oftmals die Ursache massiver Kostenüberschreitungen ist. Speziell bei Infrastrukturprojekten wie z. B. einem Tunnelbau können Ereignisse, wie das Verklemmen einer Tunnelbohrmaschine, zu massiven zeitlichen und in der Folge auch monetären Verlusten führen.
Die Ansätze von Kosten und Zeit sind grundlegend unterschiedlich, korrelieren jedoch miteinander (es besteht eine Abhängigkeit zwischen den zwei Elementen). Wird Geld nicht ausgegeben, so verbleibt es im Budget und kann zu einem späteren Zeitpunkt nach Bedarf eingesetzt werden. Wird Zeit hingegen nicht effizient eingesetzt, verstreicht diese und ist für immer verloren. Zeit kann in diesem Sinne nicht kontrolliert werden. Diese Eigenschaft der Zeit überträgt sich – bedingt durch die Abhängigkeit von Geld und Zeit – bei Großprojekten auch auf den Geldfluss. Ein effizientes Bauzeitmanagement kann nicht dadurch erreicht werden, nur Leistung zu messen oder Strafen vertraglich festzulegen; es gilt, den Prognosecharakter der Bauzeitplanung in der Analyse mit zu berücksichtigen. Der Wert eines Terminplans liegt daher nicht allein in der Kontrolle der Bauzeit, ihm kommt ein übergeordneter Stellenwert zu.
1 | Links: Standard Projektmanagement-Ansatz; rechts: Integriertes Kosten-, Risiken- und Bauzeitmodell
Credit/Quelle: Sander, Becker, Friedinger, Spiegl
Mit dem konventionellen Zugang im Projektmanagement (vgl. Bild 1, links), Kosten, Risiken und Terminplanung als unabhängig zu betrachten, wird die Abhängigkeit von Zeit und Kosten nicht berücksichtigt. Zudem werden oft Prognosewerte ohne jegliche Information zu Unsicherheiten, deren reales Eintreten gegen Null geht, als Grundlage für Entscheidungen herangezogen. Mit diesem Silodenken können die Komponenten Kosten und Zeit nicht realistisch abgebildet werden.
Das integrale Modell (vgl. Bild 1, rechts) verknüpft Risiken mit potenzieller Bauzeitauswirkung mit den Vorgängen des Terminplans, um das Fertigstellungsdatum, Bauzeitverzögerungen und potenziell kritische Wege unter Berücksichtigungen der identifizierten Risikoszenarien ermitteln zu können. Das Ergebnis der Bauzeitsimulation (Abweichung vom Zieldatum) wird in den Projektstrukturplan (PSP) eingebunden und mit zeitgebundenen Kosten verknüpft. Damit werden die Kosten aus Bauzeitverzögerungen im Gesamtergebnis berücksichtigt [2, S. 24–25].
2.2 Digitaler Projektrisiko-Zwilling für Kosten, Termine und Risiken
Der Digitale Zwilling (Digital Twin – DT) ist eine Darstellung eines materiellen oder immateriellen Objektes oder Prozesses aus der realen in die digitale Welt [3, S. 3]. DT ist mittlerweile ein Begriff bei großen Infrastrukturprojekten, da die technologischen Fortschritte in der Modellierung und Simulation die Anwendung ermöglichen. Bild 2 zeigt die Elemente eines DT für Kosten, Termine und Risiken bei Infrastrukturprojekten mit den entsprechenden Schritten. Die Eingabe/Systemintegration von Kosten-, Termin-, Risiko- und Budgetdaten erfolgt zu Beginn (Bild 2 (1)). Im Project Risk Twin (Bild 2 (2)) werden die Daten mittels Software verknüpft. Durch Simulation wird eine integrierte Kosten- und Terminrisikoanalyse unter Einbeziehung von Unsicherheiten durchgeführt. Die Analyseergebnisse werden aufbereitet und in Form von maßgeschneiderten Dashboards ausgegeben (Bild 2 (3)).
2 | Funktionsweise des digitalen Projektrisiko-Zwillings für Infrastrukturprojekte
Credit/Quelle: Sander, Becker, Friedinger, Spiegl
3 | Projektrisiko-Zwilling, Prozess
Credit/Quelle: Sander, Becker, Friedinger, Spiegl
4 | Screenshot RIAAT-Software
Credit/Quelle: Sander, Becker, Friedinger, Spiegl
Der PRT setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Bild 3 zeigt chronologisch von oben nach unten die Prozessschritte zur Erstellung eines solchen Modells. Angefangen von der Basiskosten- und Basisterminplanung über die Risikoanalyse und die Maßnahmenplanung bis zur Wahl eines Ansatzes für die Vorausvalorisierung (zukünftige Preissteigerung).
Im unteren Teil von Bild 3 sind die Ergebnisse für Kosten und Termine dargestellt. Weiterhin wird zwischen dem Teilprozess für die Kosten im linken Teil der Grafik und dem Teilprozess für die Termine im rechten Teil der Grafik unterschieden. In der Mitte ist der Projektstrukturplan dargestellt, der die erfassten Kostenbestandteile hierarchisch strukturiert, sodass diese individuell analysiert werden können. Bild 4 (1) zeigt dabei exemplarisch die Einbindung der Kostenbestandteile in den PSP.
Zu Beginn des Prozesses (vgl. Bild 3) erfolgt die Ermittlung der Basiskosten und die Bewertung von Mengen- und Preisunsicherheiten [4, S. 2]. Äquivalent wird ein Basisterminplan erstellt. Es wird empfohlen die Ergebnisse in einem weiteren Durchgang durch externe Experten validieren zu lassen.
Anschließend erfolgt die Risikoanalyse. Im ersten Schritt werden die konkreten Risikoszenarien identifiziert, beschrieben und hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit sowie Kosten- und Bauzeitauswirkung quantifiziert. Um Unsicherheiten zu berücksichtigen, erfolgt die Bewertung mittels Dreipunktschätzung (schlechtester, erwarteter und bester Fall). Es werden positive (Chancen) als auch negative (Gefahren) Auswirkungen aus Sicht der beiden Vertragspartner (Auftraggeber und Auftragnehmer) betrachtet (vgl. Bild 4 (2)).
Verzögerungen aus eingetretenen Risiken führen in den meisten Fällen nicht nur zu einer Verschiebung der Fertigstellung des Projekts, sondern auch zu zusätzlichen Kosten. Um diese Verzögerungskosten abbilden zu können, werden im folgenden Schritt die terminlichen Risikoauswirkungen im Terminplan mit den in den Basiskosten hinterlegten zeitgebundenen Kosten verknüpft [5, S. 24] (vgl. Bild 4, (3)). Alle Informationen werden in moderierten Workshops gewonnen, an denen das bauherrenseitige Projektteam teilnimmt. Eine Konditionierung der Teilnehmer ist im Vorfeld der Workshops notwendig. Wichtige Ziele sind die Sensibilisierung in Bezug auf das Risikomanagement und die Reduzierung des Optimism Bias (selbstüberschätzender Optimismus).
Im zweiten Schritt der Risikoanalyse wird das unbekannte Risiko, bestehend aus nicht-identifizierten und nicht-identifizierbaren Risiken, betrachtet. Mittels strukturierter Fragebögen wird das Projekt anhand zahlreicher Faktoren wie Reifegrad, Komplexität, geologische Verhältnisse und Marktsituation bewertet. Ergebnis ist ein projektspezifischer, prozentualer Zuschlag auf die Basiskosten, der auch die Qualität der durchgeführten Einzelrisikoanalyse berücksichtigt. Ein höherer Komplexitätsgrad und besonders ungünstige geologische Verhältnisse führen beispielsweise zu einem höher anzusetzenden Zuschlag [6, S. 20].
Zur Risikobewältigung wird die Auswirkung der Einzelrisiken auf das Gesamtprojekt analysiert (z. B. Sensitivitätsanalysen, Was-wäre-wenn, kritische Pfade, etc.) (vgl. Bild 4, (4)). Geeignete Maßnahmen zur Risikominderung können hieraus abgeleitet werden, um Kosten- und Zeitrisiken mit hoher Auswirkung zu mitigieren. Die Maßnahmen der Risikoprävention lassen sich vorab durch Simulationen quantifizieren sowie auf ihre Wirtschaftlichkeit hin bewerten und bilden eine valide Entscheidungsgrundlage [5, S. 25]. Der Mittelabfluss über die gesamte Projektlaufzeit ist die Basis für die Ermittlung der zukünftigen Preissteigerung (Vorausvalorisierung). Für langlaufende Projekte muss hier aufgrund des Zinseszins-Effektes mit hohen Inflationskosten gerechnet werden, die sowohl für die Basiskosten als auch für die Risiken zu berücksichtigen sind.
3 Ausblick
Der Einsatz eines digitalen PRTs ermöglicht eine transparente Darstellung von Unsicherheiten und Abhängigkeiten zwischen Kosten und Terminen. Dies führt zu einer Verbesserung der Erreichbarkeit der Projektziele. Um Risiken zu minimieren, sind geeignete Maßnahmen bzw. Bewältigungsmaßnahmen zu wählen. Auf die Risikobewältigung wird in Teil 3 eingegangen. Darin wird aufgezeigt, welche Maßnahmen zur Bewältigung von Risiken zur Verfügung stehen und welche Auswirkungen diese haben.
Diese Veröffentlichung wird durch dtec.bw – Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr gefördert (DigiPeC – Digital Perfomance Contracting Competence Center).