Sicherheit in Straßentunneln
Im Rahmen des vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) durchgeführten Tunneltests werden jährlich in ganz Europa viele Tunnel getestet; dadurch ist eine Datenbank mit aktuellen Angaben über die Sicherheit in zahlreichen Tunneln Europas entstanden. Kürzlich wurden die Ergebnisse der in 2010 durchgeführten Tunneltests bekannt gegeben, worüber hier berichtet wird.
Der ADAC und seine 15 Partnerclubs in 14 europäischen Ländern führen im Rahmen von EuroTAP (European Tunnel Assessment Programme) [1] Tunneltests durch. In den europäischen Tunneln wird derzeit wie nie zuvor gebaut, um sie den Anforderungen der EU-Richtlinie [2] anzupassen.
In 2010 dem 12. Jahr der Tunneltests, standen 26 europäische Tunnel auf dem Testprogramm [3, 4], und zwar vier in Spanien, je drei in Deutschland, Italien, Österreich und der Schweiz, je zwei in Frankreich und Norwegen sowie je einer in Belgien, Kroatien, den Niederlanden, Slowenien, Tschechien und – zum ersten Mal bei diesen Tests – Island. Die Kriterien für die Auswahl der zu testenden Tunnel waren deren Länge, Lage auf dem transeuropäischen Straßennetz und Bedeutung für den Reiseverkehr.
Wie in den Vorjahren betraute der ADAC die Deutsche Montan Technologie GmbH (DMT) mit der Durchführung der Tests. In diesem Jahr sollten zwischen dem 12. April und dem 20. Mai die Tunnel unter Beteiligung des Automobil-Clubs des jeweiligen Landes vor Ort überprüft, im Gespräch mit den Betreibern sicherheitstechnische Fragen geklärt und entsprechende Unterlagen eingesehen werden. Im Vorfeld erhielten die Betreiber eine Datenliste zur Erfassung der wichtigsten technischen Tunnel-Parameter; die Angaben wurden vor Ort nochmals überprüft.
Beurteilungsgrundlagen
Eine vom ADAC und von der DMT ausgearbeitete Checkliste dient als Bewertungsgrundlage; sie richtet sich auch nach den Regelwerken für Straßentunnel in Deutschland [5], Frankreich, Großbritannien, Österreich und der Schweiz [6] sowie der EU-Richtlinie über Mindestanforderungen für die Sicherheit von Tunneln im transeuropäischen Straßennetz [2]. Die Checkliste wird jährlich aktualisiert und ist aufgeteilt in acht Kategorien: Tunnelsystem (Gewichtung 14 %), Beleuchtung und Energieversorgung (7 %), Verkehr und Verkehrsüberwachung (17 %), Kommunikation wie Funk, Lautsprecher, Notrufsäulen (11 %), Flucht- und Rettungs-wege (14 %), Brandschutz (18 %), Lüftung (11 %) und Notfallmanagement (8 %).
Jedes Kriterium wird bewertet und erhält eine be-stimmte Anzahl von Punkten. Die Summe daraus ergibt das Sicherheitspotenzial eines Tunnels. Es beschreibt alle baulichen und organisatorischen Maßnahmen, die Notfälle vermeiden oder das Ausmaß von Notfällen begrenzen sollen. Dem Ergebnis wird das Risikopotenzial für die Verkehrsteilnehmer gegenübergestellt. Berücksichtigt werden dabei: Tunnellänge (1 bis 6 Punkte), Verkehrsstärke bei Richtungs- und Gegenverkehr (1 bis 10 Punkte), Lkw-Anteil (max. 8 Punkte), Transporte von Gefahrgütern (max. 5 Punkte), Verkehrsbelastung (Fahrzeuge/Tag/Fahrspur; max. 5 Punkte), größte Längsneigung des Tun-nels (max. 3 Punkte) und zusätzliche Gefährdungen (Kreuzung im Tunnel; max. 3 Punkte). Die jeweils erzielten Punkte ergeben als Summe folgende Risikoeinstufung: sehr niedrig (2 bis 9 Punkte), niedrig (10 bis 14 Punkte), mittel (15 bis 21 Punkte), hoch (22 bis 28 Punkte) und sehr hoch (ab 29 Punkte).
Bei der Gesamtbewertung eines Tunnels werden Sicherheits- und Risikopotenzial zusammengeführt, wobei man bestimmte Sicherheitsmaßnahmen von vorhandenen Risikoparametern abhängig macht; das ermöglicht einen Vergleich der Tunnel untereinander bei der Benotung von sehr gut, gut, ausreichend, bedenklich und mangelhaft (Tabelle 1); in der Schweiz heißen die beiden letzten Noten ungenügend und bedenklich.
Wird ein Tunnel insgesamt positiv bewertet (sehr gut, gut oder ausreichend), sollen möglichst alle 8 Kategorien des Sicherheitspotenzials positive Bewertungen aufweisen, zumindest aber keine mangelhaften; andernfalls setzt das sogenannte K.o.-Kriterium ein, das zu einer Abwertung der Gesamtnote auf höchstens ausreichend führt. Dies betrifft insbesondere die Flucht- und Rettungswege sowie die Lüftung.
Tunneltest 2010
Die in diesem Jahr getesteten 26 Tunnel haben insgesamt eine Länge von 66,8 km; davon haben sechs (23 %) eine und 20 (77 %) zwei Tunnelröhren mit 24 km (35 %) und 43 km
(65 %) Länge. Bis auf drei haben alle nach 2000 in Betrieb genommenen Tunnel zwei Röhren (Tabelle 1). Die Einzeltunnellänge reicht von 800 m bis 6950 m; im Mittel beträgt die Tunnellänge 2,6 km.
Alle untersuchten Tunnel hatten 2009 täglich insgesamt über 54 7000 Durchfahrten (max. 90 000 in einem Tunnel), wovon im Mittel 9,5 % (max. 41 %) auf Lastkraftwagen (Lkw) entfielen. In der Regel steigt die Unfallhäufigkeit mit zunehmendem Fahrzeugaufkommen und größerer Tunnellänge.
Testergebnisse
Die 26 getesteten Tunnel lieferten überwiegend positive Noten. Gleich 16 Tunnel wurden mit sehr gut benotet, 4 schnitten mit gut und 2 mit ausreichend ab; das sind zusammen 85 % der Tunnel. Drei Tunnel erhielten die Note bedenklich und nur einer mangelhaft. Damit erzielte dieser Tunneltest eines der besten Ergebnisse in seiner 12-jährigen Geschichte [7–17].
Der gerade erst eröffnete 4530 m lange Duplex auf der A86 bei Paris ist der Testsieger – mit zwei übereinanderliegenden Fahrflächen (Doppelstöcker), in denen es unten in die eine und oben in die andere Richtung geht, und zwar auf Kosten der geringen Fahrraumhöhe (2,50 m), weshalb keine Lkw und Busse in den Tunnel dürfen. Moderne Technik wie ein stationäres Wassernebel-Löschsystem garantiert hohe Sicherheit.
Ganz anders der 5400 m lange Tunnel Hvalfjördur auf dem Highway Nr. 1 bei Akranes in Island, der Testverlierer, weil diese 12 Jahre alte Untertunnelung des Walfjords sicherheitstechnisch am wenigsten den europäischen Mindestanforderungen entspricht und sehr sanierungsbedürftig ist.
Wie zeitgemäße Tunnel aussehen, zeigen der 1080 m lange Lohbergtunnel (Bild 1) bei Darmstadt und der 1495 m lange Richard-Strauss-Tunnel (Bild 2) in München, die beide erst vor Kurzem in Betrieb genommen wurden, mit allem ausgestattet sind, was Tunnel sicher macht, und mit sehr gut benotet wurden. Anders verhält es sich mit dem 807 m langen Tunnel Birth (Bild 3) auf der A 44 bei Velbert, bei dem das Testergebnis wegen mangelhafter Noten in den Kategorien Verkehr, Verkehrsüberwachung und Kommunikation von ausreichend auf bedenklich abgestuft wurde (K.o.-Prinzip). Die Sanierung des über 25 Jahre alten Tunnels ist deshalb im Rahmen des Nachrüstprogramms des Bundes 2014 vorgesehen.
Auch die in der Schweiz getesteten drei Autobahntunnel ergaben positive Ergebnisse: der 1440 m lange Tunnel Murgwald (1987) und der 1763 m lange Tunnel Witi (2002) mit der Note sehr gut und der 3960 m lange Tunnel Mont Terri (1998) mit gut – bei täglich 12 000 bis 27 600 Durchfahrten bei 5 bis 10 % Lkw-Anteil. Sie haben nur Ampeln an den Portalen zur Tunnelsperrung und keine Laut-sprecher in den Tunneln sowie im Witi weder Pannenbuchten noch Standspuren. Bis 2014 will man die Leittechnik, Brand-meldeanlagen und vor allem das Lüftungssystem (Strahlventilatoren, Sichttrübe- und Strömungsmesstechnik, konzentrierte Rauchabsaugung; Mont Terri: Überdruckbelüftung im Fluchtstollen) sowie die Notstromversorgung modernisieren.
Spanien war mit vier Tunneln im Test vertreten. Dabei ergaben die drei kürzlich eröffneten Tunnel positive Ergebnisse: Mit sehr gut schnitten der 4558 m lange Tunnel Brancons und der 2170 m lange Tunnel Cantalobos und mit gut der 800 m lange Tunnel Valdepastores ab, der 1007 m lange Tunnel Pedra do Couto (1999) jedoch mit bedenklich. Es gibt keinen durchgehenden Verkehrsfunk und für die Einsatzkräfte keinen durchgehenden Tunnelfunk und keine zusätzlichen Notausgänge.
In Italien wurden drei vor Kurzem eröffnete Tunnel getestet. Dabei schnitt der 2935 m lange Tunnel San Demetrio mit sehr gut, der 1581 m lange Tunnel Vigne mit ausreichend und der 1336 m lange Tunnel Claviere aber mit bedenklich ab. Der Verkehrsfunk war nicht durchgehend zu empfangen; es gab keine Lautsprecher und die Fluchtwege im Tunnel waren nicht mit Notleuchten gekennzeichnet. Beim Claviere gibt es keine zusätzlichen Notausgänge.
Nach Aufrüstung sehr gut
Drei der Tunnel standen zum wiederholten Mal im Test und haben nach inzwischen erfolgter Aufrüstung jetzt die Note sehr gut erhalten:
■ der 5898 m lange Katschbergtunnel (1974) an der A10 bei St. Michael/Österreich (1999 bedenklich und 2002 ausreichend) bekam eine zweite Röhre, verfügt nun über genügend Notausgänge zur sanierten Bestandsröhre (112 Mio. Euro).
■ der 2490 m lange Tanzenbergtunnel (1983) an der S 6 bei Bruck an der Mur/Österreich (2001 ausreichend), jetzt saniert und mit neuestem technischem Standard versehen, sowie
■ der 6950 m lange Tunnel Maurice Lemaire (1978) bei Saint Dié des Vosges/Frankreich (2002 ausreichend) verfügen jetzt über genügend Notausgänge zu einem neu gebauten parallelen Fluchtstollen, durchgehenden Verkehrsfunk, Videoüberwachung und ein automatisches Brandmeldesystem.
Die häufigsten Mängel
Bei mehr als der Hälfte der Tunnel war die Einsatzdauer der Atemschutzgeräte für die Feuerwehr mit noch nicht einmal einer Stunde zu knapp bemessen. Bei mehr als 1/3 gab es keine Lautsprecher und bei mehr als 1/4 keine Hydranten an den Portalen; knapp 1/4 hatte zur Tunnelsperrung keine Schranken und/oder Informationstafeln vor den Portalen; in jedem vierten Tunnel sorgten dunkle Wände für eine düstere Atmosphäre, war die Verständigung über Notruf nur unzureichend oder die Fluchtwege waren nicht gekennzeichnet. Bei jedem fünften Tunnel fehlten eine ausreichende Beleuch-tung und ein durchgehend zu empfangener Verkehrsfunk, gab es keine regelmäßigen Notfallübungen oder es kann nicht verhindert werden, dass bei einem Brand Rauch in die Nachbarröhre zieht. Bei jeweils vier Tunneln war der Abstand der Notrufe zu groß und es gab keine Löschwasserversorgung im Tunnel.
Ausblick
Die erfreuliche Tendenz beim diesjährigen Test zeigt die großen Bemühungen der Tunnelbetreiber, das Sicherheitsniveau ihrer Tunnelanlagen deutlich zu verbessern. Europas Tunnelröhren werden immer sicherer. Neue und sanierte Tunnel erreichten fast immer gute Noten, alte oder noch nicht modernisierte Tunnel bekommen schlechte Bewertungen. Somit bedarf es hartnäckiger Anstrengungen, damit sich die Autofahrer in ganz Europa sicher fühlen können.
Die nach der EU-Richtlinie geforderte Nachrüstung der Tunnel bis 2014 ist deshalb konsequent umzusetzen. Das gilt auch für die Tunnel in Deutschland; in 232 Tunneln auf Bundesfernstraßen sollen rd. 810 Mio. Euro in deren Modernisierung und Sicherheit bis dahin investiert werden. Dass Nachrüstprogramme erfolgreich sein können, beweisen drei wiederholt getestete Tunnel in Österreich und Frankreich; nach der Modernisierung ist das Testurteil für alle jetzt „sehr gut“.
Das Ergebnis auch dieses Tunneltests zeigt den großen Handlungsbedarf der Tunnelbetreiber. Für sie werden Empfehlungen gegeben und für die Autofahrer Tipps über das Verhalten beim Fahren durch Tunnel und dabei auftretende Unregelmäßigkeiten (Stau, Pannen, Unfälle und Brandfälle).
[1] EuroTAP (European Tunnel Assessnebt Programm) tunnel 2/2008, S. 46-47.