STUVA-Tagung 2023 in München: Auf dem Weg in eine grüne Zukunft
Eines war schon während der Vorbereitungen klar: Die Tagung in München ist auf jeden Fall etwas ganz Besonderes. Schließlich hatte hier in der Bayerischen Landeshauptstadt vor genau 60 Jahren die zweite STUVA-Tagung überhaupt stattgefunden und so den Weg für die lange Erfolgsgeschichte der STUVA bereitet. Stolz war man 1963 auf die Rekordteilnehmerzahl von 150 Fachleuten aus der Tunnelbranche, die zu den Vorträgen der damals noch eintägigen Veranstaltung erschienen waren. Dass aus diesem eher bescheidenen Anfang über die Jahrzehnte einer der weltweit wichtigsten und größten Branchentreffs werden sollte, konnte damals niemand ahnen. Mit insgesamt 4.300 Teilnehmern konnten vom 8. bis 10. November 2023 fast 30-mal so viele Teilnehmer in München gezählt werden wie 1963. Noch nie zuvor haben so viele Fachleute an einer STUVA-Tagung teilgenommen. Und auch die tagungsbegleitende Fachausstellung STUVA-Expo hat auf einer Fläche von rund 8000 m² einen neuen Beteiligungsrekord aufgestellt.
Die alle zwei Jahre stattfindende STUVA-Tagung (Bild 1) kann vor allem eines besonders gut: aktuelle Themen der Branche erkennen, entsprechende Impulse setzen und der Fachwelt das geeignete Forum zur Diskussion gleich mitliefern. So ist es kein Wunder, dass der Fokus der diesjährigen Veranstaltung auf den drängenden Menschheitsaufgaben Ressourcenschonung und Klimaschutz lag. Insbesondere die benötigten Baumaterialien wie Zement und die große Menge mineralischer „Bauabfälle“ wie Boden und Gestein sorgen bislang für eine schlechte Klimabilanz. Das ist doppelt bedauerlich, da die Menschheit dringend darauf angewiesen ist, eher mehr als weniger unterirdische Strukturen zu schaffen. Denn funktionierende Untertagebauten bilden schon heute und erst recht in der Zukunft einen wesentlichen Grundpfeiler für eine florierende Volkswirtschaft. Sie stellen die Wasser- und Energieversorgung sicher, sie entlasten die Innenstädte vom Verkehr dank U-/S-Bahn-Systemen und unterirdischer Straßen, sie gewährleisten sichere Verkehrsverbindungen über lange Distanzen und in der Fläche, und sie ermöglichen unterirdische Entsorgungssysteme wie z. B. Abwassersysteme.
Ganz bewusst hat daher die STUVA einen Schwerpunkt der diesjährigen Tagung auf die vielfältigen Chancen zur Steigerung der Ressourceneffizienz und die Entwicklung neuer Verfahrenstechniken im Sinne einer Kreislaufwirtschaft gelegt. Denn ein deutlich umweltschonender Bau und Betrieb unterirdischer Infrastrukturen ist bereits heute umsetzbar und angesichts des Klimawandels alternativlos. In seiner Eröffnungsrede warnte Prof. Martin Ziegler daher vor der aufkommenden „Klimamüdigkeit“ in weiten Teilen der Bevölkerung und einer wachsenden Stimmung gegen den Bau neuer U-Bahntunnel: „Für eine breite Akzeptanz des Verkehrstunnelbaus müssen wir künftig so ressourcenschonend und nachhaltig wie möglich bauen! Denn für eine gelungene Verkehrswende mit einem leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr sind gut geplante Tunnelbauwerke unverzichtbar.“
Auch der amtierende Präsident der Internationalen Tunnelbauvereinigung (International Tunneling and Underground Space Association, ITA) Arnold Dix, der extra zur STUVA-Tagung aus seinem Heimatland Australien angereist war, appellierte an die Tagungsteilnehmer, das eigene Wissen in den Dienst des Umweltschutzes zu stellen und eigenes Handeln an Nachhaltigkeitskriterien auszurichten: „Wer, wenn nicht wir? Die Welt braucht uns jetzt! Unser technisches Knowhow ist gefragt, denn niemand sonst kann unterirdische Räume planen, bauen und betreiben.“ Die ITA, so Arnold Dix weiter, entwickelt derzeit mit Hochdruck transparente und speziell auf den Untergrund zugeschnittene Instrumente zur Bewertung von Nachhaltigkeit, die Entscheidungsträgern auf der ganzen Welt dabei helfen, Projekte auf der Grundlage wissenschaftlicher und technischer Methoden umzusetzen: „Jetzt ist es unsere Pflicht, der Welt zu erklären, warum unterirdische Infrastrukturen eine legitime und bewährte generationenübergreifende Möglichkeit sind, die dringendsten Bedürfnisse unserer Völker und unseres Planeten zu erfüllen.“ (Bild 2 und 3)
VDV-Präsident Ingo Wortmann fand in seinem Grußwort klare Worte für einen weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrs. „Wachstum und Wohlstand entstehen durch bessere Verknüpfung und Integration“, so Wortmann. Er begrüßte ausdrücklich die Einführung des Deutschlandtickets als Baustein für die Mobilitätswende, doch es bliebe dabei, dass vor allem das öffentliche Verkehrsangebot darüber entscheiden wird, ob die Klimaschutzziele bis 2030 erreicht werden. Dazu brauchen wir eine Ausbau- und Modernisierungsoffensive für die ÖPNV-Systeme. Das bedeutet neben einer deutlichen ÖPNV-Kapazitätsausweitung auch neue Straßenbahn-und U-Bahn-Projekte sowie die Sanierung, Instandsetzung und der barrierefreie Ausbau der vorhandenen Infrastrukturen. Und, um es deutlich zu sagen: Da gehört im hochverdichteten Raum selbstverständlich die Tunnelinfrastruktur als Teil der Lösung dazu, so der VDV-Präsident.
Nach den Eröffnungsreden begann das eigentliche Vortragsprogramm. Zwei Tage lang wurden in den parallelen Vortragsreihen „Tunnelbau“ und „Tunnelbetrieb/Planung“ über 60 Fachvorträge gehalten. Wie bei STUVA-Tagungen üblich wurden für die zahlreichen Gäste aus dem Ausland sämtliche Vorträge von Simultandolmetschern ins Englische übersetzt. Schnell wurde dem aufmerksamen Zuhörer klar, dass die ganzen Appelle der Eröffnungsreden zum ökologischen Handeln mitnichten reine Lippenbekenntnisse sind. Die grüne Revolution in der Tunnelbranche hat längst Fahrt aufgenommen!
So ist die Wiederverwertung von Ausbruchmaterial mittlerweile gängige Praxis und erspart viele Transportfahrten und hohe Deponiekosten. Selbst eine Tübbingproduktion aus Recyclingmaterial direkt auf der Baustelle ist bereits praktizierte Realität und die Echtzeit-Charakterisierung von Tunnelausbruchmaterial bei EPB-Vortrieben bietet Lösungsansätze für eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft. Neue Materialien zur Ringspaltverpressung bieten ein großes CO2-Reduktionspotential und selbst die Herstellung von Bentonitsuspensionen, für die sonst sehr viel kostbares Trinkwasser verbraucht wird, kann mit umweltverträglicher Nutzung und anschließender Rückgabe von Flusswasser deutlich ökologischer ablaufen. Vielversprechend im Hinblick auf die CO2-Einsparung war auch der Vortrag zum ersten „Net-Zero-Zementwerk“, das bis 2029 in Deutschland entstehen soll. Die Ergebnisse der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Pilotstudie seien hervorragend. Dabei soll auf Basis erneuerbarer Energien erzeugter grüner Wasserstoff genutzt werden.
Der Vortragsblock „Nachhaltigkeit und CO2-Minderung im Tunnelbau“ war dem Deutschen Ausschuss für unterirdisches Bauen (DAUB) gewidmet, der 2023 sein 50-jähriges Bestehen feierte. Eröffnet wurde die Session vom derzeitigen Vorsitzer Dr. Klaus Rieker. In einer kurzen Einführung stellte er den DAUB und seine Ziele vor. Der DAUB setzt sich satzungsgemäß für die Förderung und Weiterentwicklung der unterirdischen Infrastruktur ein. Dies immer am Puls der Zeit und an den aktuellen Bedürfnissen der Branche orientiert. Konsequenterweise ist deshalb auch ein aktuell in Bearbeitung befindliches Thema die Nachhaltigkeit im Tunnelbau.
Rieker erinnerte zunächst kurz an die Entstehungsgeschichte des DAUB. Bereits 1970 hatte die OECD festgestellt, dass weltweit der Bau von Verkehrstunneln rasant zunahm und daher beschlossen, eine internationale Zusammenarbeit im Tunnelbau und die Entwicklung dringend benötigter gemeinsamer Regeln zu fördern. Den Mitgliedsländern empfahl sie, im jeweils eigenen Land eine zentrale Stelle für Tunnelbau zu schaffen und so eine fruchtbare internationale Zusammenarbeit zu ermöglichen. Das war der Auslöser für die Gründung des DAUB.
Seitdem sammelt und verbreitet der DAUB technische Informationen über unterirdisches Bauen und arbeitet national wie international bei der Aufstellung von Gesetzen, Normen, Richtlinien und Sicherheitsvorschriften mit. All das tut er sehr erfolgreich, aber eher im Hintergrund als auf der großen politischen Bühne. Sichtbare Ergebnisse seiner Arbeit sind vor allem die Empfehlungen, die kostenlos von der Homepage des DAUB www.daub-ita.de heruntergeladen werden können. So sind alleine in den letzten drei Jahren Empfehlungen zu so unterschiedlichen Themen wie BIM, Projektrisikomanagement, Lebenszykluskostenermittlung, Auswahl von Tunnelbohrmaschinen oder ein Leitfaden für Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Untertagebaustellen veröffentlicht worden. DAUB-Empfehlungen gelten in der gesamten Branche als Regel der Technik und werden von Behörden und Bauherren, der Wissenschaft und Planung sowie der Wirtschaft gleichermaßen akzeptiert und genutzt.
Im Anschluss an die kurze Einführung in die Arbeit des DAUB stellte Dipl. Bau-Ing. ETH/SIA Heinz Ehrbar als Leiter der entsprechenden Arbeitsgruppe das Grundsatzpapier des DAUB zu Herausforderungen und Lösungsansätzen bei der Umsetzung der Nachhaltigkeit im Untertagebau vor. Ehrbar erörterte in seinem Beitrag das Vorhaben des DAUB, der Fachöffentlichkeit Empfehlungen zur Realisierung und Bewertung nachhaltiger Untertagebauten zur Verfügung zu stellen. Diese bereits in der Bearbeitung befindlichen DAUB-Empfehlungen sollen Wege aufzeigen, wie auch der Untertagebau unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen seinen Beitrag zum Einhalten der Nachhaltigkeitsziele leisten kann. Die Eckpfeiler dieser Strategie sind eine nachhaltige Planung, der Einsatz neuartiger Materialien und Bauweisen, die Bilanzierung von Treibhausgasen zur Identifizierung nachhaltiger Tunnelbauvarianten und die Erneuerung und Umnutzung von Untertagebauten.
Der positive Trend zum ökologischeren Tunnel zeigte sich aber nicht nur in diesem Vortragsblock. Auch Innovationen, die auf den ersten Blick nichts mit der Umwelt zu tun haben, leisten ihren Beitrag zu deutlich geringerem Ressourcenverbrauch. So ist die Entwicklung hin zum vollautomatisierten Tunnelvortrieb nicht mehr aufzuhalten. Die resultierenden kürzeren Bauzeiten sind dabei auch umweltschonende Faktoren. Auch die rasante Entwicklung des Building Information Modeling hin zu einem echten digitalen Zwilling des jeweiligen Bauwerks macht Hoffnung. Solch ein Zwilling ermöglicht nicht nur die Planung für einen ressourcenschonenden Bau, sondern auch einen ökologisch und ökonomisch optimierten Betrieb über Jahrzehnte.
Natürlich ist es nicht möglich, an dieser Stelle auf alle Vorträge einzugehen. Dazu waren es einfach zu viele. Egal ob technische Lösungen im maschinellen Tunnelbau, Sicherheit und Digitalisierung, Tunnelsanierung oder internationale Großprojekte – zu all diesen Themen gab es eigene Vortragsblöcke mit topaktuellen Projekten und Informationen aus erster Hand. Und natürlich standen auch die 2. S-Bahn-Stammstrecke und die vielen anderen derzeitigen unterirdischen Bauprojekte in der Region München am zweiten Tag im Mittelpunkt. Wer die ganze Bandbreite der diesjährigen Themen auf der STUVA-Tagung nochmal Revue passieren lassen möchte, dem sei die Lektüre des umfangreichen Tagungsbands [1] empfohlen. Dieser enthält die Langfassungen aller gehaltenen Vorträge.
Bei der hohen Taktfrequenz der Vorträge konnte auch dem fleißigsten Zuhörer schon mal die Luft wegbleiben. Aber wer bei so vielen Informationen mal eine Atempause brauchte, der konnte sich die Beine auf der weitläufigen tagungsbegleitenden STUVA-Expo vertreten, auf der es viel zu entdecken gab (Bild 5–8). Auf der rund 8000 m² großen Fläche präsentierten 192 Aussteller ihre neuesten Produkte und Dienstleistungen für Tunnelbauer und -betreiber. Interessante Begegnungen und Anregungen gab es auf der Expo an jeder Ecke – neue Ideen und Geschäftskontakte inklusive.
An beiden Tagen waren die Stände der Expo-Aussteller daher auch außerhalb der Vortragspausen gut besucht. Kein Wunder, schließlich waren neben Teilnehmern der Tagung hunderte im Vorfeld registrierte Fachbesucher erschienen, die kostenlos die Expo besuchen konnten. So gab es am Schluss bei fast allen Ausstellern zufriedene Gesichter. Einmal mehr hat sich bestätigt, dass eine Firmenpräsenz auf der STUVA-Expo eine hervorragende Gelegenheit ist, die eigenen, teils hochspezialisiert auf die Tunnelbranche zugeschnittenen Produkte und Dienstleistungen an den Mann oder die Frau zu bringen.
Nach einem ereignisreichen und langen ersten Tag gab es dann am Abend die willkommene Belohnung. Der traditionelle Festabend, der mit einem dankenswerterweise von der Socotec Group gesponserten Sektempfang startete, fand in einem bayrisch-rustikal gestalteten Saal des ICM statt und war bis auf den letzten Platz ausgebucht. Zu deftigen Speisen und Getränken auf zünftigen Bierbänken fanden sich über 1700 Tagungsteilnehmer ein und genossen einen gelungenen Abend, der erst in den frühen Morgenstunden endete. Nicht ganz unschuldig am späten Ende war einmal mehr der Freibierausschank der Firma Keller Grundbau mit dem der Abend seinen Ausklang fand.
Der dritte Tag der STUVA-Tagung war wie immer den Fachbesichtigungen reserviert. Auch in diesem Jahr war es der STUVA gelungen, ein hochinteressantes Besichtigungsprogramm auf die Beine zu stellen, was zugegebenermaßen angesichts der derzeitigen regen Bautätigkeit in München nicht allzu schwerfiel. So waren es vor allem die Exkursionen zu den Großbaustellen Laim, Hauptbahnhof, Marienhof und Portal West rund um das Großprojekt der 2. S-Bahn-Stammstrecke, die heißbegehrt waren. Bild 10 zeigt Teilnehmer der STUVA-Exkursion zur tiefen Baugrube der Station Marienhof 22 Meter unter der Geländeoberfläche. Solche exklusiven Baustelleneinblicke unter fachkundiger Führung von Projektverantwortlichen gibt es nur für Teilnehmer der STUVA-Tagung.
Mit dem Besichtigungsprogramm endete die STUVA-Tagung 2023 am dritten Tag und die Teilnehmer traten Ihre Heimreise an. Jetzt heißt es wieder zwei Jahre warten, bis die nächste STUVA-Tagung vom 25. bis 27. November 2025 am anderen Ende von Deutschland stattfindet. Veranstaltungsort wird die Hansestadt Hamburg sein und natürlich werden dann die spektakulären Baustellen der neuen U5-Linie im Mittelpunkt stehen. Die STUVA jedenfalls freut sich schon jetzt auf viele Besucher und möchte sich von ganzem Herzen bei allen Sponsoren, Referenten und Ausstellern bedanken. Ohne die breite Unterstützung der ganzen Tunnelbranche wäre eine solche Veranstaltung wie die STUVA-Tagung mit Expo nicht realisierbar.